Auf der Suche nach Schönheit

Sex, Körper, Markt (Teil 1): Sowohl die Globalisierung als auch eine Reromantisierung werden künftig die Beziehungen zwischen LiebespartnerInnen prägen

… aber sowohl Frauen als auch Männer möchten glauben, dass sie es könnten, wenn sie nur wollten

Noch nie wurde so viel über Sex geredet wie heute. Nicht nur über Sex, auch über Partnersuche, Flirttricks, Beziehungsführung. Dabei wird ein eigenartiger Widerspruch sichtbar: Der breite öffentliche Diskurs verspricht über Werbespots, Ratgeberbücher und boomende Singletreffs ständig neue Aufregungen und Glück, versucht aber gleichzeitig, das Schicksalhafte, Triebgesteuerte und Persönliche in den geschlechtlichen Beziehungen fest einzuhegen.

Ein Beispiel dafür ist die moderne Partnersuche in Form des „Speed-Dating“. Dabei dürfen die TeilnehmerInnen sieben Partner nacheinander jeweils sieben Minuten lang nach persönlichen Details abfragen. Danach kreuzt man auf einem Bogen ein Ja oder ein Nein an, je nachdem ob man den Gesprächspartner wiedersehen will oder nicht. Man erhöht mit dem „Speed-Dating“ die rein statistische Chance, „den Richtigen“ zu treffen. Aber es gibt bei dieser digitalisierten Partnerwahl keinen Raum mehr für Überraschungen, Entwicklungen zwischen zwei Menschen, die oft einen Vorlauf brauchen. Der erste Eindruck und damit die Optik spielt die wichtigste Rolle – was das Visuelle bei der Partnerwahl weiter aufwertet.

Die Jugend wird dabei zum Fetisch erkoren, so als befänden wir uns auf dem Weg zu einer pädosexuellen Gesellschaft. In einer Studie fütterte man Computer mit den physiognomischen Daten von Supermodels. Die Computer identifizierten die Gesichter als die von siebenjährigen Mädchen.

Die Wirklichkeit in einer individualisierten, alternden Gesellschaft aber sieht ganz anders aus, als es die öffentlichen Normen glauben machen wollen. Mit der zunehmenden Vereinzelung und Alterung sinkt die durchschnittliche sexuelle Aktivität, wie empirisch festgestellt. Fast jeder Zehnte der 30-jährigen westdeutschen Männer hat laut einer Untersuchung noch gar keinen Sexualpartner gehabt. Die Realität ist, was die Quantität der praktizierten Sexualität betrifft, eher karg.

Die Leute selbst sind also wählerisch, wie es auch zu einer individualisierten Gesellschaft passt. Sie wollen in der Regel nicht dauernd mit wechselnden PartnerInnen ins Bett – aber sie möchten glauben, dass sie es könnten, wenn sie nur wollten. Das ist entscheidend: Wer angeblich so viele PartnerInnen wie gewünscht haben könnte, wer angeblich viele Optionen hat, der gilt als Sieger oder Siegerin. Wem das abgesprochen wird, der wird zu den Verlierern gezählt.

Das bedeutet auch Verschiebungen im Diskurs über das „Sexobjekt“-Dasein der Frau. In den 70er-Jahren war diese Herabwürdigung zum Sexobjekt ein wichtiges feministisches Thema. Heute zählen junge, gut aussehende und gebildete Frauen im öffentlichen Normengebilde eher zu den Gewinnern: Sie können auf berufliche Förderung durch ältere Männer in Führungspositionen hoffen und haben angeblich freie Auswahl in der Partnerschaft, als hätten sie am Losstand auf der Kirmes den Hauptgewinn gezogen.

Viele Männer wiederum beharren im Streit um die Zuerkennung von Wahlmöglichkeiten auf ihren Besonderheiten: auf der Tatsache, dass Männer länger zeugungsfähig sind als Frauen gebärfähig etwa, oder auf der Behauptung, dass Männer weniger über ihre Physis definiert werden als Frauen.

Künftig ist jedoch eine Globalisierung der Sexualbeziehungen zu erwarten, die auch den Frauen mehr Wahlmöglichkeiten eröffnet. Die Subkulturen älterer Frauen mit jüngeren Liebhabern aus anderen Kulturkreisen, die sich in den Metropolen entwickeln, sind jetzt schon eine solche „Exit-Option“. Bikulturelle Beziehungen zwischen sozial gut gestellten Frauen und schwächeren Migranten dürften das Normenspektrum künftig erweitern.

Die Genderdebatte hat sich zu einem komplexen Streit um die Hoheit in der Normensetzung entwickelt. Werbung, Medien, Prominentengeschichten, die ganze Gefühlsindustrie und auch die Naturwissenschaften, etwa die Evolutionsbiologie, bilden die „Machtdispositive“ (Michel Foucault), die diese Werte transportieren. Täter und Opfer sind dabei nicht mehr klar auszumachen: Frauen und Männer haben die Normen gleichermaßen verinnerlicht. Doch die Veröffentlichung und Normierung des Privaten bringt Gegenreaktionen hervor. Denn das Verständnis von Liebe basiert auf der Differenz des Unpersönlichen zum Persönlichen, wie der Systemtheoretiker Niklas Luhmann schrieb. Niemand will ein Klischee zum Liebhaber, sondern jeder wünscht sich die Begegnung, mit der die persönliche Einzigartigkeit, die Differenz bestätigt wird.

Im Alltag lässt sich das sehr gut beobachten: Verliebte halten den Partner immer für etwas Besonderes und haben einen sicheren Blick dafür, welches Detail an der Person tatsächlich schön ist. Erst nach der Trennung werden dann wieder Allgemeinplätze über „die Männer an sich“ aufgestellt – der ehemals Geliebte wird in einen imaginierten dumpfen „Männerpool“ zurückgeworfen, weil die Differenz eben nur dann empfunden wird, wenn die Beziehung besteht.

Die flexible Gesellschaft bringt es zudem mit sich, dass die Menschen heute in immer komplexeren inneren Liebessystemen leben, für die es keine öffentliche Sprache gibt. In diesen Systemen spielen die aktuellen Partner, verflossene, aber auch heimlich Angeschwärmte besondere Rollen. Auch Singles haben selbstverständlich diese Systeme. Unerfüllte Liebschaften gehören genauso dazu wie Ehepartner. Das nicht beantwortete Begehren gilt ohnehin schon seit vielen Jahrhunderten als wichtige Selbsterfahrung. Es ist immer noch besser, unerfüllt zu lieben als gar nicht.

Die Menschen wollen in der Regel nicht dauernd mit wechselnden PartnerInnen ins Bett …

Das Individuelle zählt – und das früh festgelegte Triebschicksal prägt oft die Partnerwahl für ein ganzes Leben. Um ein triviales Beispiel zu nennen: Nicht wenige halten die Liebesgeschichte zwischen Prinz Charles und seiner äußerlich unattraktiven Freundin Camilla Parker-Bowles für beeindruckender als seine Ehe mit Prinzessin Diana. Denn diese Beziehung muss ihre ganz eigene innere Architektur besitzen, um die jahrzehntelangen Anfeindungen auszuhalten.

Die Sinnlichkeit, wie sie die Medien befördern, wird ohnehin durch die realen Liebesverhältnisse modifiziert. Denn in den Medien dominiert naturgemäß das Visuelle, doch ist die private Nähe erst mal hergestellt, tritt das Visuelle gegenüber den Berührungs,- Geruchs- und anderen Sinnen ziemlich zurück. Die Berührung ist übrigens derjenige Sinn, der im Alter am lebendigsten bleibt.

Die gnadenlose Veröffentlichung des Sexuellen könnte also am Ende sogar eine heimliche Reromantisierung der Geschlechterbeziehungen fördern. Die Zerstörung von öffentlichen Schamgrenzen, wie sie etwa in den nachmittäglichen TV-Talkshows zelebriert wurde, verstärkt die Flucht in die persönliche Liebesarchitektur. Die Globalisierung der Geschlechterbeziehungen, aber auch eine Reromantisierung – wenn das wichtige Trends für die Zukunft sind, ist diese doch gar nicht so schlecht. BARBARA DRIBBUSCH