Schild statt Schwert

SPD-Politiker Egon Bahr fordert Europa auf, sich von der Weltmacht USA zu emanzipieren

von BERND PICKERT

Die nächsten 50 Jahre werden eine von den USA dominierte Epoche werden – und niemand wird die USA daran hindern können zu tun, was sie für richtig halten. Kaum eine US-Regierung dürfte UN-Mehrheitsentscheidungen gegen sich akzeptieren – eine „Politik der freien Hand“ durch die einzig verbliebene Macht, die sich der Verrechtlichung internationaler Beziehungen immer mehr entziehe, sei das wahrscheinlichste. Das ist die düstere Prognose, die der ehemalige Architekt der SPD-Entspannungspolitik, Egon Bahr, bei der taz-kongress-Veranstaltung zum Thema „Die neue Weltunsicherheitsordnung“ abgab. Der 80-Jährige faszinierte die über 200 ZuhörerInnen durch seine Analyse der Weltpolitik. Ganz der um Verhandlungslösungen bemühte Pragmatiker, als der er zu seiner aktiven Zeit Geschichte gemacht hat, vertiefte er im Zwiegespräch mit taz-Autorin Bettina Gaus und auf die Fragen des Publikums hin seine Thesen.

Mit einem bereits im Sommer vergangenen Jahres, also weit vor dem 11. September, aufgelegten gigantischen Aufrüstungsprogramm haben die USA ihre Fähigkeit ausgebaut, überall auf der Welt Krieg führen zu können. Zu diesem Programm gehören die so genannten „Mini-Nukes“, also kleine Atomwaffen für den Einsatz gegen unterirdische Ziele, genauso wie die Nationale Raketenabwehr (NMD). Letztere birgt für Bahr die Gefahr einer Spaltung Europas – während Großbritannien, Italien und die Türkei vermutlich dem Programm zustimmen, dürfte Frankreich es ablehnen. „Was macht dann Deutschland?“, fragte Bahr, ohne eine Antwort parat zu haben. Er selbst plädiert für Ablehnung. Er jammere nicht über die Stärke der USA, sagte Bahr, sondern über die Schwäche Europas. Es gebe eben bislang keine gemeinsame europäische Politik für den Nahen Osten, für Zentralasien, für Afrika, für den arabischen Raum. Die europäische Einigung sei aber die Voraussetzung dafür, dass Europa einen eigenen außenpolitischen Weg gehen könne, der nicht wie die USA auf militärische Stärke setzt, sondern auf Verhandlungslösungen und diplomatische Effizienz. Es sei Europas Aufgabe, dem Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts entgegenzusetzen – und Europa verfüge über eine Menge Erfahrungen damit, dass Gewaltverzichtsabkommen und Entspannungspolitik funktionieren könne. Europa müsse sich insofern von den USA emanzipieren und seinen eigenen Weg gehen. Die Streitkräfte Europas sollten nicht versuchen, ihrerseits Offensivfähigkeiten zu entwickeln: „Sie müssen das Schild Europas sein, aber nicht das Schwert Amerikas“, sagte Bahr.

Die rot-grüne Bundesregierung habe aus der Erfahrung des Kosovokrieges gelernt. Damals sei sie nach einer Reihe von Fehleinschätzungen, auch der USA, in einen klar völkerrechtswidrigen Luftkrieg ohne UN-Mandat hineingezogen worden – und erst mit dem 5-Punkte-Plan, der die Beendigung des Krieges ermöglicht habe, habe sie selbst die Offensive ergreifen können. Die Erfahrung für die Spielräume deutscher Außenpolitik in Europa sei gewesen, dass man eine gewisse vetoähnliche Macht habe – beispielsweise was den Einsatz von Bodentruppen in Kosovo anging –, dass Deutschland aktive Politik aber nur mit den europäischen Partnern gemeinsam machen könne.

Bahr kann sich nicht vorstellen, dass Deutschland sich an einer Militäraktion gegen den Irak beteiligt, wenn diese nicht durch ein UN-Mandat gedeckt ist – das aber dürfte gegen China und Russland nicht zu haben sein. Auf die Frage, ob nicht, wenn Rot-Grün die Wahlen verliere und es dann eine Opposition gäbe, eine Kriegsbeteiligung sogar schwerer durchzusetzen sei als derzeit, erklärte Bahr, jede CDU-geführte Regierung würde sich an den US-Militäraktionen vermutlich mit Verve beteiligen, und die Opposition wäre fundamental und folgenlos dagegen.

Dass Egon Bahr also trotz vielerlei Kritik eine insgesamt hoffnungsvolle Bilanz der rot-grünen Außenpolitik zog, konnte nicht wirklich verwundern. Wie er es aber tat, beeindruckte. Und nur um eine einzige Frage drückte sich Bahr herum – jemand aus dem Publikum hatte wissen wollen, wie er es mit Schröders Erklärung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA halte. Dazu schwieg der erfahrene Diplomat.