45 Tage für würdiges Leben

Der wochenlange Protestzug der Roma gegen den Abschiebebeschluss der Innenminister erreicht Berlin. Vor dem Brandenburger Tor fordern sie Bleiberecht

Marion ist 11 Jahre alt und ein aufgeweckter und begabter Junge, wie seine Mutter stolz sagt. Marion ist in Deutschland geboren und spricht fließend Deutsch. Aber er wird in diesem Land nicht mehr geduldet. Er und seine vor 12 Jahren aus Montenegro geflüchteten Geschwister und Eltern sind Roma und müssen laut Beschluss der Innenministerkonferenz „möglichst bald freiwillig nach Jugoslawien ausreisen“. Andernfalls droht die „zwangsweise Rückführung“ in diesem Jahr.

Schon seit 45 Tagen demonstrieren rund 500 weitere Roma quer durch die Bundesrepublik gegen den Beschluss der Innenminister. Gestern zogen sie zum Brandenburger Tor. Sie verlangen ein Gespräch mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).

Die Demonstranten haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben. So wie Eljez, ein älterer Mann mit einem Enkelkind an der Hand, der sagt: „Lieber würde ich mich umbringen, als nach 12 Jahren zurück nach Jugoslawien gehen und zusehen wie meine Enkel ohne jegliche Chance auf ein würdiges Leben dort aufwachsen“. Das wäre für sie alle eine Katastrophe.

Eine Rückkehr in die Heimat wäre nach Angaben der Roma-Union momentan mit polizeilichen Schikanen, Misshandlungen und Übergriffen verbunden. Bis jetzt wurde kein Rückkehrprogramm entwickelt. So müssen die Roma in ein Land zurückkehren, in dem sie laut UNHCR mit menschenunwürdigen Zuständen und Gefahren zu rechnen haben. Als eine Minderheit mit einem niedrigen sozialen Status haben Roma im ehemaligen Jugoslawien kaum Zugang zu Wohnraum und zu sanitären Einrichtungen, kaum eine Chance auf Arbeit und Bildung. Es besteht nicht einmal Anspruch auf Rechtsschutz.

Schon seit Jahren würden Roma de facto „leise vertrieben“, beklagt der Leiter der Antirassistischen Initiative. Da sie nur geduldet werden, dürfen sie in der Bundesrepublik nicht arbeiten. Nun kürzt man ihnen die Taschengelder, statt in einer Wohnung werden sie in Sammelunterkünften untergebracht, Sozialhilfe wird gestrichen.

Mit „dem Dzoni“ glauben die Roma jetzt eine Chance zu haben. Dzoni Sichelschmidt, charismatischer Sprecher der C.I.A.E. Roma-Union (Essen), sagt: „Unsere Kinder sind richtig eingedeutscht, sie haben in unseren Heimat keine Chance.“ Und „viele wären bereit, zurückzukehren, wenn dort für Häuser, Schulen und Arbeitsplätze gesorgt wäre. Noch will uns dort aber niemand haben.“

Mit Unterstützung des Flüchtlingsrats fordert man unter anderem einen Abschiebestopp und ein dauerhaftes Bleiberecht für alle Roma, die seit mehr als fünf Jahren in der Bundesrepublik leben. Ob die drohende Abschiebung verhindert werden kann, bleibt fraglich. Am heutigen 46. Demonstrationstag planen die Roma eine Kundgebung vor der jugoslawischen Botschaft. MAXIM GROUCHEVOI