Vom Wagnis zweier Ausstellungen

Am Sonntag wurden in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg zwei Dauerausstellungen über die Geschichte dieses ambivalenten Ortes eröffnet. Sie verbinden zwei Phasen der Vergangenheit, die kaum etwas miteinander zu tun haben

von PHILIPP GESSLER

Ist Günter Morsch ein mutiger Mann? „Geschichte auszustellen, die noch qualmt“, sagt der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, „stellt kein geringes Risiko dar.“ Tatsächlich ist es ein Irrtum, zu glauben, Historiker und Ausstellungsmacher, die nur noch mit toten Relikten der Vergangenheit hantieren, müssten keinen Mut haben. Sie brauchen ihn, wenn sie Neues wagen, mit ihren Thesen und Exponaten das Risiko eingehen, falsch zu liegen oder missverstanden zu werden. Solche Wagnisse haben Morsch und seine Mitarbeiter der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg in den vergangenen Jahren öfter auf sich genommen. Am Sonntag war es mal wieder so weit:

Nach jahrelangen Renovierungsarbeiten konnte das „Neue Museum“ der KZ-Gedenkstätte eröffnet werden – mit zwei neuen Dauerpräsentationen, die aus zwei zuvor erarbeiteten Wanderausstellungen hervorgegangen sind: „Konzentrationslager Oranienburg 1933 bis 1934“ heißt die eine, „Von der Erinnerung zum Monument. Die Geschichte der Gedenkstätte Sachsenhausen 1950 bis 1989“ die andere. Wo, mag man fragen, ist das Wagnis?

Es liegt darin, dass das 24 Hektar große Gelände am Stadtrand Oranienburgs für das Erinnern an die Vergangenheit ein so verdammt schwieriger, ambivalenter Ort ist: In der Kreisstadt im Norden der Hauptstadt richtete die SA nach Hitlers Machtübernahme das erste Konzentrationslager Preußens ein, mitten in der Stadt, vor aller Augen, in einer ehemaligen Brauerei. Nach der Entmachtung der SA im so genannten Röhm-Putsch wurde es aufgelöst. Zwei Jahre später aber entstand das Muster-KZ der Nazis, ebenfalls vorbildhaft für viele Konzentrationslager überall in ihrem Herrschaftsraum: das KZ-Sachsenhausen, das von 1936 bis 1945 bestand und von einem Lager für politische Gefangene zunehmend zum Vernichtungslager mutierte. Nach der Niederlage der Nazis inhaftierte dann der Geheimdienst der Sowjets auf dem Gelände bis 1950 Naziverbrecher – und alle, die sie dafür hielten (der Schauspieler Heinrich George starb in diesem „Speziallager“). Später diente das Lager unter anderem der Nationalen Volksarmee der DDR als Kasernenstandort und Übungsplatz, ehe es schließlich 1961 zur „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“ des Arbeiter-und-Bauern-Staates erklärt wurde.

Schon die Eröffnung des Museums zum „Speziallager“ Ende vergangenen Jahres erforderte nun eine gewisse Risikobereitschaft: Dieses Museum schildert die gerechte Strafe für Naziverbrecher – aber auch das Leid unschuldiger Jugendlicher oder auch nur anitkommunistischer Demokraten unter den Sowjets (wie etwa des Häftlings Erich Nehlhans, des ersten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nach dem Krieg). Wenn nun Morsch und seine Leute auf insgesamt 600 Quadratmetern die erste und letzte Phase der besonderen Geschichte Oranienburgs thematisieren, gehen sie ebenfalls ein Wagnis ein: Eine Schau über das „KZ Oranienburg“ im Zentrum der Stadt, unweit des Schlosses gelegen, muss die Verdrängung, ja die Mitschuld der normalen Oranienburger thematisieren – ein Vorhaben, mit dem man sich in einer öden Kreisstadt wenig Freunde macht. Die selbstreflexive Ausstellung über die Gedenkstätte von 1961 bis 1989 andererseits landet notwendig bei der antifaschistisch-antikapitalistischen Instrumentalisierung des Ortes durch die SED und führt mitten hinein in den Irrgarten deutsch-deutscher Befindlichkeiten.

Und? Ist nun – um zur wichtigsten Frage zu kommen – das Wagnis gelungen? Wer nur durch den ersten Teil der Doppeldauerausstellung über das „KZ Oranienburg“ geht, dürfte dies bejahen. Teilweise erschütternde Exponate geben eine Ahnung davon, wie brutal und unbarmherzig die Nazis im „Lager in der Brauerei“ mit ihren Gegnern umgingen. Zu ihnen gehörte der Dichter und Anarchist Erich Mühsam, der hier ermordet wurde – erhängt in einer Vitrine, getarnt als Selbstmord. Etwa 16 von 3.000 Inhaftierten überlebten die Misshandlungen nicht.

Problematisch aber wird die Doppelausstellung beim Übergang in den nächsten Raum zur Gedenkstätte ab 1961: Die Zwischenzeit des KZ Sachsenhausen wird nur durch eine Art Schleuse symbolisiert. Allzu plötzlich ist man in der Nachkriegszeit und muss sich mit Metafragen einer Ausstellung über eine Ausstellung beschäftigen. Im „KZ Oranienburg“-Teil werden auf einer großen Wand in einer Endlosschleife Aufnahmen des „Tags von Potsdam“, des 21. März 1933, gezeigt, von der Naziverbrüderung mit den alten preußischen Eliten. Die „Gedenkstätten“-Ausstellung nimmt hinter der Schleuse diese Idee wieder auf und zeigt ebenfalls in Endlosschleife DDR-Filmschnipsel über die Eröffnung der Gedenkstätte 1961. Das könnte missverständlich sein und so interpretiert werden, als stelle man Nazis des Jahres 1933 mit Sozialisten des Jahres 1961 auf eine Ebene – eine Assoziation, die „nicht beabsichtigt“ sei, sagt Horst Seferens, Pressesprecher der Gedenkstätte: Hier werde keinesfalls untergründig die alte „Totalitarismus“-Theorie transportiert.

Dennoch, Morsch ist ein mutiger Mann. Er hat Geschichte angefasst, die so jung ist, dass sie „noch qualmt“. Aber leider haben seine Leute und er im Qualm den Überblick verloren: Sie haben miteinander verbunden, was nicht zueinander gehört.