Abschreckendes Procedere

Entgegen dem Bundestrend beantragen in Berlin immer weniger Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft. Bis zum Jahr 2000 war das Verhältnis umgekehrt

In ganz Deutschland steigt seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor zwei Jahren die Anzahl der Einbürgerungen. Nur in der Hauptstadt ist das anders: War Berlin bis zur Gesetzesänderung noch das Land mit der höchsten Quote, sinken die Antragszahlen seitdem kontinuierlich. Nur 1.400 Nichtdeutsche beantragten hier in den ersten drei Monaten dieses Jahres einen deutschen Pass. Im ersten Quartal 1999 waren es noch 4.100. Insgesamt warten noch 33.000 Anträge auf Entscheidung.

Die Gründe dafür sind unter anderem in der Innenverwaltung zu suchen, monierte gestern Özcan Mutlu, migrationspolitischer Sprecher der Grünen. Die Behörden, so Mutlu, wandelten noch immer „auf ausgetretenen CDU-Pfaden“ und seien zu schwerfällig: „Anstatt Einbürgerung als etwas Positives zu sehen, werden die Ermessenspielräume regelmäßig zu Ungunsten der Antragsteller genutzt.“

Das aufwändige Procedere schrecke viele Einbürgerungswillige ab und sei teilweise – wie etwa die Regelanfrage beim Verfassungsschutz – schikanös. Negativ wirke sich auch der schriftliche Deutschtest aus. Der sei teuer, grenze Analphabeten aus, koste Zeit und sei unnötig, da ihn sowieso 85 Prozent aller Antragsteller bestehen. Ein mündlicher Sprachnachweis reicht nach Ansicht Mutlus aus. Zudem fordert der grüne Abgeordnete eine Werbekampagne für die Einbürgerung, um klar zu machen, dass Einwanderer willkommen sind.

„Bei der größten Minderheit in Berlin, den Türken, ist eine größere Zurückhaltung festzustellen, was Neuanträge auf Einbürgerung angeht“, bestätigt Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). Doch sie sieht dafür andere Ursachen als Mutlu. Wegen der einst so liberalen Regelung – auch die jetzt nur noch in Einzelfällen genehmigte doppelte Staatsbürgerschaft wurde oft in Kauf genommen – hätte Berlin nicht den Nachholbedarf, den andere Bundesländer jetzt aufarbeiten. Dadurch sei der Rückgang zu erklären. Die manchmal langen Bearbeitungszeiten entstünden durch die dünne Personaldecke in den Einbürgerungsstellen. Den Sprachnachweis hält John für erhaltenswert: „Der Test ist sinnvoll, weil er einen Anreiz zum Deutschlernen schafft. Er ist ein Beitrag zur Integration.“

Dass in der Innenverwaltung eine negative Einstellung zur Einbürgerung herrschen soll, will deren Sprecherin Henrike Morgenstern nicht gelten lassen: „Wir freuen uns über jeden, der bei Erfüllung der nötigen Vorraussetzungen die deutsche Staatsbürgerschaft erhält.“ Auch könne man nicht wirklich von einem Negativtrend sprechen: Die Zahl der abgeschlossenen Verfahren sei im ersten Quartal wieder leicht angestiegen. „Es gab mehr Einbürgerungen als Anträge. Der Bearbeitungsstau wird langsam gelöst.“

CHRISTOPH SCHULZE