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fernöstlicher diwanWie sehr das Team der USA geliebt wird

Die ganze Wahrheit in 7 Punkten

1. Falls sich jemand fragt, ob man sich in den USA nach dem 1:1 gegen Südkorea und dem 3:2 zuvor gegen Portugal langsam im WM-Taumel befindet: nicht wirklich. Ich bin jetzt seit knapp vier Monaten in den USA. Und nach allem, was ich weiß, sind die USA nach wie vor das einzige Land der Welt, in dem Frauenfußball wichtiger ist als Fußball. Solide feministische Ausbildung? Gelebte Gleichberechtigung? Ich fragte mal den Nationalspieler Jeff Agoos, woran das liege. Agoos sagte: „Es liegt daran, dass Amerika nur den Sieger respektiert.“ Tatsächlich: Die US-Frauen sind die besten Fußballerinnen der Welt, die US-Männer gehörten stets zu den größten Gurken.

2. Es war ja immer ein schöner Nebenaspekt jeder WM, dass der Rest der Welt beim wichtigsten populärkulturellen Ereignis des Universums ausgerechnet die USA vier Wochen lang in der Nebenrolle des unwichtigen Nichtskönners rezipieren konnte. Bestenfalls. Genau das stört natürlich den gemeinen US-Sportinteressierten, weshalb er sich auch in dieser Zeit mental lieber mit jenen

PETER UNFRIEDS WM

Mein Team: Sacramento Kings (Weltmeister der Herzen)

Mein Spieler: Mia Hamm. Wenn man den Durchschnittsamerikaner nach einem Fußballer fragt, antwortet er: Mia Hamm.

Mein Weltmeister: Brasilien. Seien wir ehrlich: Wer keine Ahnung hat, fährt am besten mit „Brasilien“.

Ereignissen beschäftigt, bei denen garantiert ein US-Team gewinnt – also der NBA, der NHL, der Major League Baseball. Die Sieger werden auch „Weltmeister“ genannt, aber die Spiele sind eigens so erfunden, dass möglichst wenig andere auf die Idee kommen, sie auch zu spielen (Baseball, Football).

3. Außerdem: Das Land ist schlicht „zu groß und zu multikulturell für EIN gemeinsames Team“ (New York Times). Der ganze Sport und die ihn begleitenden Medien sind lokal und regional angelegt. Selbst die großen Basketball- und Baseballteams bedienen fast alle nur regionale Kundschaft. Völlig ausgeschlossen, dass man sich auf das nationale Fußballteam einigen könnte. Fußball ist die Nummer 5, die nationale Liga bestenfalls zweitklassig. Und das US-Team bedient hauptsächlich die weiße Mittelklasse, und da auch nur kleine Teile.

4. In den USA kommen die Spiele mitten in der Nacht. Trotzdem verfolgen viele Leute die WM. Manche sind sogar so durchgedreht, dass sie sich die Nächte in Kneipen um die Ohren schlagen, in denen ab 2 Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf. Es sind aber fast alles Einwanderer, die eine emotionale Loyalität zu ihrem Geburtsland durch das Band zu dessen Fußballteam bewahren. Die Teams, die sie anfeuern, heißen Mexiko, Irland, China, England, Argentinien. Das heißt nicht, dass sie Bush, den Dollar, den Krieg in Afghanistan oder was immer gerade gefragt ist, nicht patriotisch unterstützen würden. Aber das US-Soccerteam anzufeuern, das geht dann doch zu weit.

5. Es gibt keine gemeinsame Geschichte. Eigentlich gar keine Geschichte. Das 3:2 gegen Portugal zum WM-Auftakt war der größte Sieg seit, tja, seit wann? Es gibt nicht viele „größte“ Siege. Das 1:0 gegen England bei der WM 1950, das 2:1 gegen Kolumbien, mit dem man bei der WM 1994 das Achtelfinale erreichte. Der Sieg über Weiß-der-Teufel-wen, mit dem man sich für die WM 1990 qualifizierte. Aber das ist natürlich nicht im kollektiven Bewusstsein des Landes verankert. Dafür ist der Sport viel zu jung. Fußball ist kein Teil der populären Kultur und auch nichts, worüber Großväter, Väter und Söhne noch schwadronieren könnten, wenn sie sonst nichts mehr eint.

6. Innenverteidiger Jeff Agoos hat von den „Fortschritten“ gesprochen und davon, „was für einen weiten Weg wir gegangen sind“. Die WM hat ihn bestätigt. Agoos (34) ist seit 1988 Nationalspieler und kann die Fortschritte sehen zwischen 1990 – der ersten Qualifikation seit vierzig Jahren – und heute, da die Major League Soccer mehr Profis auf ein anständiges Grundniveau gebracht hat und zudem jungen Kreativspielern wie Mathis, Donovan und Beasley Gelegenheit zur Entwicklung gegeben hat. Ein Punkt noch gegen Polen, dann wäre man in der K.o.-Runde und hätte Bemerkenswertes geschafft. Weil aber Amerika nur den Sieger liebt und den Fußball nicht wirklich kennt, sagt Agoos, „werden nur wenige Leute einschätzen können, was das Erreichen des Achtelfinales für eine Leistung“ wäre.

7. Eigentlich ist Fußball hier nur etwas, was kleine Kinder nach der Schule spielen.

PETER UNFRIED

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