Warten auf die Loja Dschirga

Der Beginn der afghanischen Ratsversammlung wurde gestern verschoben – offiziell aus organisatorischen Gründen. Doch dahinter verbergen sich politische Auseinandersetzungen um die Besetzung des Präsidentenpostens

KABUL taz ■ Der Beginn der afghanischen großen Ratsversammlung, der Loja Dschirga, ist gestern in Kabul um 24 Stunden verschoben worden. Zur Begründung wurden offiziell „logistische und operationelle Gründe“ genannt. Die Loja-Dschirga-Kommission, die das auf eine Woche angesetzte Treffen vorbereitet, müsse noch über einzelne Delegierte entscheiden und deren Status klären, sagte Kommissionsmitglied Abdul Rahimi vor der Presse. Die Zahl der Delegierten sei von 1.551 auf über 1.700 gestiegen, nachdem sie bei 1.501 gelegen hatte. Unter den neuen Delegierten seien auch Gäste, die nicht mitwählen dürften. Es sei noch nicht in allen Fällen entschieden, wer Gast und wer stimmberechtigt sei.

Gestern Vormittag spielten sich im Büro der Kommission dramatische Szenen ab. Dutzende Delegierte, die aus dem ganzen Land und Übersee angereist waren, versuchten noch ihre Akkreditierung zu bekommen. Bundeswehrsoldaten der internationalen Friedenstruppe Isaf versperrten mit einem Panzerwagen den Zugang zum Gebäude, in das nur vereinzelt Personen hineingelassen wurden. Erregt beschwerten sich Delegierte, dass ihr Status von „stimmberechtigt“ auf „Gast“ herabgestuft worden war.

Rahimi räumte ein, dass es noch immer keine Gesamtliste der Delegierten gebe. Bereits am Sonntagabend war der Beginn der Loja Dschirga vom gestrigen Morgen auf den Nachmittag verschoben worden. Wenngleich die Kommission beteuerte, dass dafür nur technische Probleme verantwortlich seien, wollte das gestern in Kabul niemand glauben. Beobachter vermuten, dass ein Machtkampf zwischen der Regierungsfraktion der Pandschiris aus der Nordallianz und den Anhängern des 87-jährigen Exkönigs Sahir Schah für die Verschiebung verantwortlich ist.

Die militärisch starken Pandschiris bekamen bei der Bonner Afghanistankonferenz 2001 die Ressorts Verteidigung, Inneres und Äußeres. Dafür stimmten sie der Rückkehr des seit 1973 im Exil lebenden Exkönigs zu, der die Loja Dschirga eröffnen soll. Inzwischen fordern Anhänger Sahir Schahs und viele Paschtunen für ihn das Präsidentenamt.

Für diesen Posten kandidiert aber der bisherige Interimsregierungschef Hamid Karsai. Er war ein Verbündeter des Königs, der wie er Paschtune ist, wird jetzt aber in seiner Kandidatur von den tadschikischen Pandschiris unterstützt. Das brachte ihm das Misstrauen seiner paschtunischen Landsleute ein, die auch die Macht der Pandschiris in der Regierung beschneiden wollen. Wie ein Berater Karsais der taz bestätigte, fand am Sonntagabend im Präsidentenpalast ein Treffen zwischen Karsai, dem König und einigen Ministern statt. Dabei sollen die Pandschiris den Exkönig vergeblich gedrängt haben, nicht für das Präsidentenamt zu kandidieren. Zuvor hatte Sahir Schah gesagt, dass er für jedes Amt zur Verfügung stehe, das die Loja Dschirga ihm antrage. Er sprach sich dafür aus, dass Karsai Regierungschef bleiben solle. Das könnte bedeuten, dass Karsai Premier unter einem Präsidenten Sahir Schah wäre. Dabei wäre noch zu definieren, ob Sahir Schah Exekutivgewalt bekommt oder nur repräsentative Funktionen.

Einen offenen Machtkampf zwischen den Unterstützern des Exkönigs und denen Karsais auf der Loja Dschirga wollen alle Seiten vermeiden. Die Verschiebung der Loja Dschirga bietet Gelegenheit, einen Kompromiss zu suchen oder die eigenen Anhänger zu mobilisieren und zu versuchen, weitere Anhänger in die Loja Dschirga zu bekommen. Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad kündigte gestern an, dass Sahir Schah bald erklären werde, nicht für das Präsidentenamt zu kandidieren. Das dürften viele Paschtunen nicht einfach hinnehmen. SVEN HANSEN