■ Auf Christian Füllers Kommentar reagierten zahlreiche OrganisatorInnen und Demonstrierende empört
: Studierende sind keine Lobbyisten

betr.: „Protest der Privilegierten“, taz vom 10. 6. 02

Wenn Sie sich Aufrufe und Pressemitteilungen des europäischen Netzwerkes „Education is not for sale“ durchgelesen hätten, wüssten sie, dass z. B. im Aufruf für die Demonstration (Zitat) „Öffentliche Schulbildung erhalten und entwickeln“ gefordert wird. In anderen Aufrufen oder Pressemitteilungen heißt es (Zitat): „Schulen und Unis dürfen nicht zum Spielball von Konzernen werden“, „Schüler und Studenten protestieren gegen Studiengebühren und Privatisierungen im Bildungswesen“. Als Vorstandsmitglied der LandesschülerInnenvertretung NRWs und aktives Mitglied des Netzwerkes „Education is not for sale“ kann ich bestätigen, dass in sämtlichen Veröffentlichungen von Bildung im Allgemeinen und nicht nur für Studierende gesprochen wurde. Auf der Abschlusskundgebung am Samstag haben neben StudierendenvertreterInnen auch ein Vertreter der LehrerInnen, der Gewerkschaften und eine Vertreterin der LandesschülerInnenvertretung NRW gesprochen. Wenn Sie sich also einmal genauer informieren würden, wüssten sie, dass Studierende in NRW keinesfalls „Lobbyisten“ sind und sehr wohl versuchen, „der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten“ um aufzuzeigen, dass Studiengebühren nur ein kleiner Teil sind, was übrigens in jedem Redebeitrag am Samstag so gesagt wurde. SARAH STOCKMANN, Meerbusch

Was ist der Sinn und Zweck eines Artikels, wie er hier veröffentlicht wird? Sollen wir als SchülerInnen und StudentInnen noch weiter die soziale Selektion fördern? Studiengebühren sind ein Teil davon, denn schon jetzt können es sich viele aus schwächeren Einkommensverhältnissen nicht leisten, zu studieren. Dafür gehen wir auch als SchülerInnen mit auf die Straße. Uns deswegen als Lobbyisten zu verunglimpfen, halte ich für ausgesprochen unangebracht. Sollen wir auf jeglichen Protest gegen diese Dinge verzichten? Die Augen solange schließen, und nur den Kindergarten fördern (sinnvolle Sache, wie ich zugeben muss), bis auf einmal diese Kinder vor der Uni stehen und sie nicht mehr bezahlen können.

Nebenbei gesagt, war dies keine Demo allein gegen Studiengebühren, sondern für öffentliche Bildung, wie auch im Aufruf nachzulesen ist. MARTIN STRÖHMEIER,

BezirksschülerInnensprecher Duisburg (NRW)

Nicht nur, dass Christian Füller wieder das alte Lied von den traurigen Kinderaugen anstimmt, die wegen der bösen Langzeitstudierenden auf einen Hortplatz warten müssen, die eigentliche Unverschämtheit ist, dass er den Umstand unerwähnt lässt, dass die Demonstranten dieses Problem ausdrücklich im Aufruf zur Demo und vor allem in den Redebeiträgen bei der Abschlusskundgebung thematisiert haben. Ausdrücklich wurde festgehalten, dass man nicht die eigene Position auf Kosten noch schwächerer Gruppen verbessern will. Dass Studierende die privilegierteste Gruppe überhaupt seien, kann wohl ernsthaft niemand behaupten. […] NIELS HOLGER SCHMIDT, Bottrop

Statistiken des Studentenwerkes belegen, dass heute so viele Studenten wie noch nie ganz oder zumindest teilweise ihren Lebensunterhalt durch Werktätigkeit bestreiten müssen. Und das verlängert in der Regel das Studium ungemein. Da ist es nur infam, alle Studenten pauschal als privilegierte Karrieristen zu diffamieren, die nichts als ihr eigenes Fortkommen im Sinn hätten. […]

Ich glaube nicht, dass es weiterführt, von der Misere im Bildungssystem betroffene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Wenn man wirklich Chancengleichheit für alle will, muss man das Ganze sehen. […] HEIKE SCHÜSSLER, Hamburg

Es ist ja schon seit längerem bekannt, dass Christian Füller der Position zuneigt, dass Studiengebühren gerecht seien, weil sie „Kinder der Bourgeoisie“ etwas kosten würden, und weil dann so endlich Gerechtigkeit zwischen dem Ausschlussgrund Kindergarten und dem Ausschlussgrund Hochschule hergestellt wäre. Mit anderen Worten: Wenn’s denn endlich Studiengebühren gäbe, würden die, die es irgendwo trotz wenig Geld – oder weil neuerdings kostenlos – durch den Kindergarten geschafft haben, dann eben aussortiert, wenn’s ans Studium geht. Besser? Gerechter? Ich glaube nicht.

Dass die Gelder in NRW dabei noch nicht einmal den Hochschulen (oder den Kindergärten) zugute kommen sollen, sondern dem Finanzministerium, ist nur ein pikantes Detail am Rande. Vielleicht sind Studierende tatsächlich privilegiert. Dennoch ist der Protest gegen die Einführung von Studiengebühren jetzt auch in NRW absolut richtig. Nicht wegen Stellvertretergefechten um gesellschaftliche Debatten, sondern weil Gebühren ganz sicher dazu beitragen, die, die es grade eben so schaffen, sich den privilegierten Status „Student/in“ zu erarbeiten, aus dem System rauszuwerfen. Und weil das ganz und gar nicht dazu beiträgt, Teilhabeungerechtigkeit an Bildung abzubauen.

Was also dann? Wie wär’s damit, auf allen Ebenen dafür zu kämpfen, die tatsächliche Teilhabe an Bildung (und damit an Gesellschaft) auszubauen? Die Hochschulen gebührenfrei zu lassen oder wieder zu machen (und vielleicht, wenn’s denn unbedingt sein muss, über eine generationengerechte und einkommensabhängige Akademikersteuer nachzudenken), das Bafög so zu reformieren, dass es tatsächlich funktioniert (und vielleicht noch nicht einmal mehr kostet – Stichwort BAFF), und – da sind wir uns dann einig – dringend notwendige Reformen im Kindergarten- und Schulbereich durchzuführen. Aber nicht, indem irgendwo weiter oben eine neue Engstelle eingeführt wird, um unten den Bildungsweg zu verbreitern. TILL WESTERMAYER, Sprecher des

Bündnisses grün-alternativer Hochschulgruppen, Freiburg

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