Einfach zu bauen, schwer einzuschätzen

Mit einer Atomwaffe hätte eine „radiologische Bombe“ nichts zu tun. Sie wäre aber verhältnismäßig leicht zu bauen und könnte große Schäden anrichten. Haupteffekte der bislang nie gebauten Waffe wären die Furcht vor ihrer Anwendung und die Panik nach einem Anschlag

BERLIN taz ■ Die Assoziation mit einer Atombombe war sicher nicht unbeabsichtigt, als US-Justizminister John Ashcroft von einer „radiaoktiven schmutzigen Bombe“ sprach, die der festgenommene Abdullah al Muhajir habe bauen wollen. Die US-Regierung habe den Plan vereiteln, die Vereinigten Staaten damit anzugreifen. Mit einer Atomwaffe hat die radiologische Bombe, deren Bau die US-Regierung mit der Festnahme verhindert haben will, aber allenfalls eines gemein: Beide Waffen enthalten radioaktives Material. Damit hören die Gemeinsamkeiten schon auf.

Was jetzt als „schmutzige Atombombe“ bezeichnet wird, wäre eine Bombe mit konventionellem Sprengstoff – aber vermischt oder ummantelt mit radioaktivem Material. Zu der zerstörerischen Sprengwirkung käme der tödliche oder zumindest gesundheitsschädliche Effekt durch Strahlenschäden, verursacht durch weit verstreute Partikel radioaktiven Materials. Im Gegensatz zur Atombombe läuft aber keine unkontrollierte Kettenreaktion ab – die enorme Sprengwirkung einer atomaren Spalt- oder Fusionswaffe gäbe es nicht.

Doch der Bau einer radiologischen Waffe – bislang wurde sie, soweit bekannt, nirgends auf der Welt entwickelt – wäre auch ungleich leichter als der einer Atombombe. Wer zur Herstellung einer Atomwaffe nicht in der Lage ist, dem mag eine radiologische Waffe deshalb durchaus machbar erscheinen. Denn weder ist es notwendig, eine bestimmte Menge Plutonium abzutrennen oder Uran anzureichern, noch ist ein spezieller Zündmechanismus nötig.

Wem es vor allem darum geht, ein weites Gebiet zu verseuchen, für den kann eine radiologische Waffe diesen Zweck erfüllen. Die tatsächliche Wirkung hängt zum einen ab von der Menge des eingesetzten Sprengstoffs und damit von der Sprengkraft, mit der die radioaktiven Stoffe verteilt werden, zum anderen von der Art des benutzten Materials. Neben den in der Atomindustrie verwendeten Stoffen Plutonium und Uran könnten auch die in vielen Krankenhäusern und Laboratorien verwandten Stoffe Cäsium und Kobalt benutzt werden.

Von Militärs wurde der Einsatz radiologischer Waffen bislang nicht ernsthaft erwogen. Mit guten Grund: Ähnlich wie bei biologischen und chemischen Waffen wäre den Befehlshabern die Wirkung zu unbestimmt. Zu groß auch die Gefahr, dass eigene Truppen die Auswirkungen zu spüren bekämen.

Außerhalb eines staatlichen Waffenlabors dürfte die starke Strahlung das größte Problem bei der Konstruktion einer radiologischen Waffe darstellen. Da es ja gerade die Absicht ist, das Material in der Form kleinster Partikel zu verteilen, wäre eine Abschirmung etwa durch einen Bleimantel kontraproduktiv. Wird die Waffe für ein Selbstmordkommando gebaut, würde diese Einschränkung durch Strahlenschäden natürlich eine geringe Rolle spielen.

Zudem könnte auch der Einsatz weniger stark strahlenden Materials den erwünschten Effekt erzielen. Bei einem gezielten Einsatz in einer dicht besiedelten Innenstadt wäre in jedem Fall der wirtschaftlche Schaden immens, ganze Straßenzüge könnten auf lange Zeit nicht benutzt und müssten aufwändig dekontaminiert werden.

Vor allem aber würde der Einsatz Panik verbreiten. Nach Ansicht von Phil Anderson vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washingtion könnte die noch weit größer sein als die durch die Anthraxbriefe Ende letzten Jahres verursachte Verunsicherung. Erst im März hatte der konservative Think-Tank ein Szenario durchgespielt, bei dem ein mit Sprengstoff und spaltbarem Material gefüllter Bus zwischen Capitol und Weißem Haus explodierte. Anderson sieht seitdem eine ganz eigene Gefahr „radiologischer Waffen“: „Die Auswirkungen sind mehr psychologisch als mit Verlust von Leben verbunden.“ ERIC CHAUVISTRÉ