Ortlos glücklich

Es ist doch alles nur Popmusik: So viel wie Andrew Pekler in seinem Leben bisher auf Reisen war, so disparat sind auch seine musikalischen Entwürfe

„In Russland war ich Jude, in den USA Russe, in Deutschland bin ich Ami“

von THOMAS WINKLER

Vom Balkon aus geht der Blick nach rechts über den alten Schlachthof, wo die seit Jahren geplanten Lofts für die neue Mitte wegen nervöser Investoren nicht entstehen wollen. Nach links schaut man über Friedrichshainer Mietskasernen bis zum Fernsehturm. Manchmal, erzählt Andrew Pekler, sitzt er hier und fantasiert, da hinter den Häusern sei die Welt zu Ende und das weithin sichtbare Wahrzeichen der DDR nur ein Leuchtturm, der den Rand des Erdkreises markiere.

Hier, in Friedrichshain, liegt vorerst die Endstation einer ein Leben dauernden Reise, die Pekler aus der damaligen Sowjetunion in die USA und schließlich nach Deutschland führte. „Ich brauche den Ortswechsel, ich fühle mich nirgends so richtig heimisch“, sagt er, und diese Unruhe findet auch in seiner musikalischen Produktion ihren Ausdruck. Die durchdacht dahintröpfelnde, den Schulterschluss zum Jazz suchenden Clicks and Cuts auf Peklers neuem Album „Station To Station“ lässt nur in Ansätzen erahnen, welche Odysee er auch musikalisch mit 28 Jahren bereits hinter sich gebracht hat.

Geboren wurde Pekler in Usbekistan, sein Vater Jude, seine Mutter Armenierin. Sechs war er, als seine Eltern die UdSSR verließen und aus dem kleinen Andrej ein Andrew wurde. Aufgewachsen vor allem im kalifornischen Monterrey, ging er als Student nach Heidelberg. Dort gründete er Mucus 2, eine Garagenrockband, die die dreckigsten Gitarren spielte, mit denen die Bundesrepublik jemals erschüttert wurde. Parallel bastelte Pekler als Mitglied von Bergheim 34 minimalistische Miniaturen aus Elektronik. Als Sad Rockets begab er sich derweil auf den Egotrip und nahm als Trash-Liedermacher im eigenen Schlafzimmer sympathisch seltsame Grenzüberschreitungen zwischen digitaler und akustischer Welt auf. Und nun also unter eigenem Namen die instrumentale und elektronische Weiterentwicklung der Leidenschaft für den Jazz.

„Für mich sind das nicht verschiedene Welten“, sagt Pekler in nahezu perfektem Deutsch, „das ist alles Popmusik.“ Andere, gibt er zu, würden all diese Ideen vielleicht in einem einzigen, sehr eklektizistischen Projekt verarbeiten, „aber solche Hybride gelingen meiner Meinung nach sehr selten“. So steht also vieles ganz entspannt neben vielem und verweist dann doch aufeinander. „Station To Station“ beginnt mit einem klitzekleinen Trommelwirbel, der an das Rockschlagzeug von Mucus 2 gemahnt. Bei Mucus 2 wiederum entstanden die Texte immer als Letztes, waren meistens „total dämlich“, und seine Stimme diente allein als weitere, letzte Klangfarbe, als wären die Stücke der Rockband eigentlich als instrumentale Improvisationen gedacht.

„Station To Station“ nun wiederum ist nicht die klassische Platte, in der eine Fusion aus Jazz und Electronica versucht wird, indem ein paar schnittige Saxofon-Licks und ein cooles Break gesamplet und geloopt werden. Pekler versucht sich an der umgekehrten Herangehensweise: Er programmiert nicht einfach mit Klängen aus dem Jazz, er wendet Prinzipien des Jazz auf die Strukturen elektronischer Musik an. Er bringt also dem Computer das Improvisieren bei. Der Rhythmus, das Grundgerüst eines jeden Tracks, wird unwesentlich, aber merklich moduliert, und mitunter löst sich ein Track dabei auch auf. „Jazz“, sagt Pekler, „ist doch nur eine Methode, den Hörer und sich selbst immer wieder zu überraschen.“ Tanzbar ist das nur selten, aber wunderbar anzuhören. In seiner entspannten Reduktion könnte diese Musik kaum weiter entfernt sein von dem überschäumenden Rock von Mucus 2 und der Anarchie von Sad Rockets.

Gemeinsam ist allen so disparaten Entwürfen eins: Peklers Ablehnung von demonstrativer Musikalität. „Ich lege keinen besonderen Wert darauf, Instrumente zu beherrschen, aber ich habe meinen eigenen Weg gefunden, ohne virtuoses Können zu guten Ergebnissen zu kommen.“ Die Genialen Dilettanten kennt er nicht, aber die Idee, die „klingt sympathisch“.

Eine Karte der Sowjetunion hängt an der Wand über dem Küchentisch. „In Russland war ich Jude“, erinnert sich Pekler, „in den USA war ich Russe, und in Deutschland bin ich Ami.“ Der Ort jedoch, sagt Pekler, sei nie wichtig für seine Musik gewesen, die könnte überall so entstehen. Die Wahl auf Heidelberg als Studienort fiel zufällig; und nach Berlin ging es, weil die Freundin hier einen Job fand.

Der Blick geht noch einmal hinüber zum Fernsehturm. „Ich wollte mal in einer Großstadt leben, auch deshalb bin ich nach Berlin gekommen.“ Fast klingt es, als wäre es Zeit für ihn, sich bald wieder neue Ziele zu suchen. Was bleibt einem, der nirgends eine Heimat findet, schon anderes übrig.

Andrew Pekler: „Station To Station“ (scape/Efa)