Wenn die Götter straucheln

Argentinien schafft gegen Schweden trotz einer Fülle von Torchancen nur ein 1:1, muss ebenso wie Frankreich als hoch gehandelter Favorit die Heimreise antreten und kann das WM-Aus nicht fassen

aus Miyagi MARTIN HÄGELE

Man solle nicht um Argentinien heulen, heißt es im berühmtesten Lied über die Heimat des Tangos. Vermutlich wird jenes „don’t cry for me“ in vielen der Nachrufe stehen, welche die Delegation des WM-Favoriten nun auf ihrem Heimflug nach Buenos Aires begleiten werden. Als Batistuta, Verón, Crespo und die anderen Stars am 15. Mai von Frankfurt aus abgehoben waren in das Land, über dem ihr Glanz aufgehen sollte, hatten diese Millionäre in der First- und Business-Class des Jumbos noch gesungen wie Pfadfinder oder eine lustige Reisegruppe Jugendlicher. Die Männer aber, die gestern aus der Kabine des Miyagi-Stadions kamen, hatten ihre Stirnbänder abgelegt, und die langen Haare verbargen endlose Trauer.

„Gegen Schweden gewinnen wir, keine Sorge“, hatte nach der 0:1-Niederlage gegen England der alte Torjäger Batigól gesagt. Sie hatten sich geweigert, überhaupt an die Möglichkeit des Ausscheidens zu denken. Selbst als sie gesehen hatten, was mit Weltmeister Frankreich passiert war. „Wieso soll ich nach meinen Koffern schauen“, hatte Ariel Ortega mögliche Ängste vor einem ähnlichen Schicksal weit von sich gewiesen. Derselbe Ortega, der nicht mal eine Elfmeter-Chance nutzen konnte – erst im Nachschuss verwandelte Crespo zum 1:1. Da war es zu spät.

Nein, sie doch nicht. Die in den letzten vier Jahren alle Gegner an die Wand gespielt hatten. Den Erzrivalen Brasilien vorgeführt, die Italiener auf eigenem Boden gedemütigt, wer sollte ihnen gefährlich werden? Diese Schweden? Die im ersten Spielabschnitt nur sporadisch den Ball berührten, in 45 Minuten nur zwei halbwegs ordentliche Angriffe zustande brachten. Doch schon da ließ sich erahnen, dass es hinter diesen selbstbewussten Gesichtern anders aussah.

Vom Anpfiff an standen die Ersatzspieler in ihrem Häuschen, als würden die Kollegen deshalb die Kugel früher im Netz versenken. Und Marcelo Bielsa, Welttrainer des Jahres 2001, bewegte sich so aufgeregt, als betreue er zum ersten Mal eine Jugendmannschaft. Schon nachdem die ersten Möglichkeiten vergeben waren, und es gab viele, schlug sich der 46-Jährige jedes Mal die Hände vors Gesicht. Und langsam baute sich Panik auf, weil die vor allem dank Regisseur Aimar klar überlegene Mannschaft einfach nicht zum befreienden Torerfolg kam. Der Freistoß, den Anders Svensson nach einer Stunde über die Mauer zauberte, weckte zwar noch einmal den Ehrgeiz, doch dann war alles vorbei.

Kily Gonzales vom FC Valencia hatte eine Nationalfahne über die Schulter gelegt, eigentlich als Schutz gegen die Kälte, die sich an diesem Nachmittag plötzlich eingestellt hatte. Er brauchte die Decke aber eher als Taschentuch für seine Tränen. In der Kabine war es hernach totenstill. Auch als sich Batistuta nach seinem letzten Länderspiel mit einem „Danke für alles“ von den Kameraden verabschiedete. Zu klaren Worten war keiner in der Lage. Wenn eine Epoche zu Ende geht, bevor sie überhaupt richtig beginnt, kommen im ersten Augenblick nur Gefühle zu Tage. Verón etwa sprach vom schwersten Moment seiner Karriere, aber niemandem sei ein Vorwurf zu machen. Und der Trainer Bielsa fasste alles, was von seinen Emotionen übrig geblieben war, in fünf Wörtern zusammen: „schrecklich enttäuscht und furchtbar traurig“.

Sie konnten die Gesänge der Schweden hören, und als ihr Bus zum letzten Mal aus einem japanischen WM-Stadien wegfuhr, standen blau-weiß gewandete Fans und klatschten ihnen nach. Ob zum Hohn für den gestürzten Goliath oder aus Mitleid für eine Mannschaft mit vielen exzellenten Fußballspielern, ließ sich aus der Distanz nicht ausmachen. Nur darüber, wie dieser Applaus hinter den Scheiben angekommen ist: „Ich fühle mich einfach nur schlecht“, hatte Aimar gesagt, „wenn man von einem Team geschlagen wird, das ganz bestimmt nicht besser war.“ So ist das, wenn Götter straucheln.

Schweden: Hedman - Mellberg, Jakobsson, Mjällby, Lucic - Linderoth - Alexandersson, Anders Svensson (68. Jonson), Magnus Svensson - Allbäck (46. Andreas Andersson), Larsson (87. Ibrahimovic)Argentinien: Cavallero - Chamot, Pochettino, Samuel - Zanetti, Almeyda (62. Veron), Sorin (62. Kily Gonzales) - Aimar - Ortega, Batistuta (57. Crespo), Claudio Lopez Zuschauer: 45.777; Tore: 1:0 Anders Svensson (58.), 1:1 Crespo (88.)