Mit Karten neu gemischt

Die Gelb-Orgie des Schiedsrichters beim 2:0 der Deutschen gegen Kamerun zwingt Teamchef Völler für das Achtelfinale gegen Paraguay zu Änderungen, denen er sich vorher heftig widersetzte

aus Cheju FRANK KETTERER

Der Tag danach: Der Sieg gegen Kamerun hatte ein Lächeln auf die Gesichter der Spieler gezaubert, und bei ihrer Ankunft im Hotel Paradise in Cheju, der Ferieninsel im südlichsten Zipfel Südkoreas, wartete gleich die nächste nette Überraschung für Rudi Völler und seine Mannschaft. Heinz Imhof hatte für sie gesorgt, und als der DFB-Küchenchef das Menü kredenzen ließ, das er extra für diesen besonderen Tag aus Wiener Schnitzel, Pommes und Salat komponiert hatte, stieg das Stimmungsbarometer der deutschen Kickerbelegschaft gleich nochmals um ein paar Grad. Oft bekommen Ballack und Co. die schwere Hausmannskost während dieser Fußball-Weltmeisterschaft ja nicht auf den Teller; gestern aber ging das schon in Ordnung, sie hatten sich ihr Schnitzel am Vorabend redlich verdient.

Die deutsche WM-Expedition ist also tatsächlich angekommen in Südkorea, sie hat es ins Achtelfinale geschafft und damit an den Ort, an dem „die WM erst richtig losgeht“, wie Torhüter Oliver Kahn noch am Vorabend, der 2:0-Sieg gegen Kamerun war keine halbe Stunde alt, festgestellt hatte. Und wie schwer die Geburt trotz des am Ende deutlichen Ergebnisses war, hatte gleich nach Schlusspfiff ein Blick auf eben diesen Oliver Kahn gezeigt, den Titanen im Tor, der mit seinen Paraden mal wieder Garant war für den Sieg: Zusammengesunken war der Münchner nach Spielende, sichtlich ausgepumpt und ein wenig am Ende seiner Kräfte angelangt, zumindest seiner psychischen. „Es ist wie in einer Waschküche gewesen“, sprach der Keeper, „und es hat Kraft und Substanz gekostet.“

Aber es hat sich gelohnt, so zu fighten, vor allem in der zweiten Halbzeit, nach dem Platzverweis von Abwehrchef Carsten Ramelow (41.), schließlich hat man mit dem Einzug ins Achtelfinale zumindest das Minimalziel erreicht, und als die Versager der Nation werden die DFB-Kicker nun garantiert nicht mehr zurückkehren in die Heimat. Wobei: Der eine oder andere Kicker scheint gerade Gefallen zu finden an Asien und würde offensichtlich gerne noch etwas bleiben, so wie Jens Jeremies zum Beispiel. „Wir haben alle den Traum, nach Yokohama zu fahren“, verriet der Mittelfeldspieler aus München, der in der 80. Minute für den ausgepumpten Bernd Schneider ins Spiel gekommen war. In Yokohama findet am 30. Juni das Endspiel dieser WM statt.

Natürlich ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Natürlich hat die deutsche Mannschaft „hier noch nichts erreicht, aber noch gar nichts“ (Kahn). Und wenn es wirklich so ist, dass so eine WM erst mit dem Achtelfinale losgeht, dann ist es wohl auch so, dass die deutsche Mannschaft am Samstag in Seogwipo gegen Paraguay neu und von vorne anfängt, nicht nur weil es ab jetzt „nur noch Endspiele gibt“ (Teamchef Rudi Völler), sondern auch weil Señor Antonio Lopez Nieto am Dienstagabend im Shuzuoka Stadium Ecopa mächtig viel Farbe ins Spiel gebracht hatte. Denn passend zum einsetzenden Regen hatte der Unparteiische aus Spanien für eine wahre Kartenflut gesorgt, die am Ende auch die Herren Ramelow (gelb-rot), Ziege und Hamann (je zweite gelbe Karte) aus der deutschen Mannschaft spülte, zumindest fürs nächste Spiel.

Und Anzeichen gibt es, dass man zumindest Carsten Ramelow, dessen Platzverweis nach zweimaligem Foul nichts anderes war als das Ergebnis hoffnungslosester Überforderung, bei diesem Turnier nicht noch einmal in der Startelf sieht. Ziemlich Gleiches gilt für Carsten Jancker, der zwar im Achtelfinale keineswegs gesperrt ist, gegen Kamerun erneut aber nur das Abziehbild eines Stürmers darstellte und nach der Pause, als Rudi Völler eben wegen des Platzverweises von Ramelow umstellen musste, Marco Bode Platz zu machen hatte. Ebenfalls offen scheint das Schicksal von Christian Ziege.

So haben eine gelb-rote Karte und ein kartenwütiger Schiedsrichter dafür gesorgt, dass der Teamchef abrücken muss von seiner Linie, die schon gegen Kamerun ein wenig zu fest eingefahren schien und in Treue zum Stammpersonal erstarrt war. Bode hat seine Sache nicht nur wegen des Tores bestens gemacht und darf bestimmt wieder kommen, auch die Umstellung von Dreier- auf Viererkette scheint zukunftstauglich. „Das hat hervorragend geklappt“, strich Torhüter Oliver Kahn, dessen Wort eine Menge zählt im Team und bei den Trainern, diesen Tatbestand heraus. Auch Völler selbst gab zu, „dass sich die Umstellungen in der zweiten Halbzeit ausgewirkt haben“, obwohl er sich zuvor doch so vehement dagegen gesträubt hatte.

So könnte mit der deutschen Mannschaft vor dem Achtelfinale passieren, was mit jeder Mannschaft, die eine gute sein möchte, bei einem längeren Turnier passiert: Sie ändert und entwickelt sich. In Namen gesprochen könnte das im nächsten Spiel eine Viererkette mit Marko Rehmer, Thomas Linke, Christoph Metzelder und Torsten Frings bedeuten, schon weil Jörg Böhme am Dienstag beim Aufwärmen eine Muskelfaser im Oberschenkel riss und er als Defensivalternative somit ausfällt. Bereits gestern saß Böhme im Flieger zurück nach Hause. Im Mittelfeld dürfte Jens Jeremies den defensiveren Part von Didi Hamann erben, während Bode auf der linken Seite an Zieges statt Verwendung fände. Vorne sind neben Miroslav Klose, dem Wunderstürmer dieser WM, entweder Oliver Bierhoff oder Oliver Neuville denkbar. Um in Kahns Duktus zu bleiben: Die WM kann losgehen. Die deutsche Mannschaft scheint sortiert. Darauf ein Schnitzel, Herr Chefkoch!