Kleiner Mann ganz groß

Die Amerikanerin Jeanne Dunning hat sich als Fotografin international einen Namen gemacht. Das Internet schien sie nicht weiter zu interessieren, bis sie im letzten Jahr dem New Yorker Dia Art Center anbot, das Märchen vom Däumling als Website neu zu interpretieren. Weit abseits des Mainstreams des Webdesigns ist daraus ein Kunstwerk geworden, das wirklich nur im Web möglich ist. Dunnings „Tom Thumb: Notes Toward A Case History“ unter www.diacenter.org/dunning nutzt die Flashtechnik, um das Thema auf bestechend subtile Art zu inszenieren. Kostbar altmodische Illustrationen aus alten Kinderbüchern stehen am Rand des Textes, der das Märchen erzählt, als sei es ein psychoanalytischer Fallbericht. Sie lassen sich mit der Maus aufblähen, so dass sie den Text überlagern: So übergroß möchte der Däumling in seinen Träumen werden, der doch ständig von allen möglichen Tieren verschluckt wird. Deren Innenwelt, der Magen, ist seine Außenwelt, über die wir uns mit Hilfe klassischer Hyperlinks informieren können.

Im Vorwort berichtet der Auftraggeber, dass diese für die Grundidee des Web typische sowohl grafische wie semantische Vertiefung und Erweiterung des linearen Textes offenbar so attraktiv wirkt, dass die Besucher der Website danach auch den ganzen Rest des Onlinemuseums in Augenschein nehmen, weil sie auch dort eine ähnlich intelligente Hinführung zu den Ausstellungsstücken erwarten. Leider werden sie von der übrigen Webkunst meistens enttäuscht.

niklaus@taz.de