„Einer muss den Anfang machen“

Landesinnenminister Christian Köckert (CDU) erklärt, warum die Polizei in Thüringen präventiv Telefone abhören soll

taz: Herr Köckert, Sie wollen, dass die Polizei in Thüringen Telefone auch präventiv abhören kann. Warum braucht die Thüringer Polizei Befugnisse, die in keinem anderen Bundesland gegeben sind?

Christian Köckert: Kommunikation wird für Kriminelle immer wichtiger, dem muss auch die Polizei mit modernen Mitteln gegenübertreten. Ein Land muss jeweils den Anfang machen, diesmal sind es eben wir in Thüringen.

Telefone gibt es schon lange. Und trotzdem hat kein Land bisher die Notwendigkeit gesehen, die Überwachung für Gefahrenabwehr einzuführen. Gibt es ein praktisches Bedürfnis für die Neuregelung?

Natürlich. Wir hatten zum Beispiel den Fall, dass eine Frau die Polizei verständigte, nachdem ihre selbstmordgefährdete Schwester verschwunden war. Die Schwester hatte zwar ihr Handy dabei, wir durften aber den Aufenthalt nicht peilen, weil es im Bereich der Gefahrenabwehr noch keine Rechtsgrundlage dafür gab.

Und wie sieht es bei kriminellen Handlungen aus?

Nehmen wir das Beispiel einer Geiselnahme. Da müssen wir das Handy des Täters abhören können, um Gefahr vom Opfer abzuwehren.

Bei einer Geiselnahme liegt doch bereits eine Straftat vor. Können Sie da nicht heute schon abhören?

Es ist eine Grauzone. Im Interesse der Rechtssicherheit für die Beamten wollen wir eine eindeutige Regelung schaffen. Die Telefonüberwachung muss auch erlaubt sein, wenn der Schutz des Opfers im Mittelpunkt einer Maßnahme steht oder wenn die Tat noch gar nicht begonnen hat.

Es ist ein alter Traum der Polizei, einzugreifen, bevor die Tat begangen wurde. Wen aber hört man ab, wenn noch gar nichts passiert ist?

Es muss natürlich konkrete Hinweise geben, dass eine Straftat geplant ist.

Im Landtag haben Sie auch das „Aufbrechen“ der organisierten Kriminalität als Ziel genannt. Doch neben der Polizei soll sich künftig auch noch der Thüringer Verfassungsschutz um die organisierte Kriminalität kümmern. Werden dann nicht die gleichen Telefone doppelt abgehört?

Nein, die Zielrichtungen sind ganz unterschiedlich. Die Polizei ist zum Eingreifen verpflichtet, wenn sie von einer Straftat erfährt, der Verfassungsschutz nicht. Er ist deshalb besser geeignet, sich tief in die Strukturen einzuarbeiten, um diese aufzuklären.

Wird es jetzt in Thüringen deutlich mehr Telekommunikationsüberwachung geben als bisher?

Nein, die Zahl der Maßnahmen wird nicht nennenswert steigen. Schließlich haben wir auch hohe Hürden errichtet. Die Überwachung der Telekommunikation kann nur durch einen Richter angeordnet werden, und die Regierung muss dem Landtag halbjährlich über die Maßnahmen berichten.

Auch konservative Polizeiexperten wie der frühere Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) sind der Auffassung, dass für Regelungen der Telekommunikation allein der Bund zuständig ist. Ist Ihr Gesetz verfassungswidrig?

Nein. Der Bund muss zwar die technische Seite der Telekommunikation regeln. Gesetze über die Gefahrenabwehr liegen aber nach unserer Ansicht eindeutig in Landeskompetenz.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH