Durch die Splitter nur das Beste gegriffen

■ Im Landgericht wird der erste von vier Überfällen auf das Juweliergeschäft Brinckmann & Lange verhandelt

„Wir hatten alle richtig Angst“, sagt die Verkäuferin vom Juwelier Brinckmann & Lange gestern im Landgericht, als sie schildern soll, wie sie den Überfall Mitte November vergangenen Jahres erlebt hat. Richtig Angst vor zwei jungen Männern mit runden Gesichtern, die ihr da gegenüber auf der Angklagebank sitzen, mal die reich verzierte Kassettendecke bestaunen, mal schüchtern bis neugierig in Richtung des jungen Mädchens auf den Zuschauerbänken gucken und meist konzentriert der Dolmetscherin zuhören, die ihnen insPolnische übersetzt, was da im Saal 231 vor der Jugendkammer des Landgerichts über sie verhandelt wird. Irgendwie scheinen sie noch gar nicht angekommen zu sein im Gericht, im Erwachsensein, im Knast. Sie haben 29 Uhren erbeutet, Gesamtwert rund 253.000 Mark. Rolex, Cartier, Chopard, Omega, Tagheuer – nur das Beste. Die Beute ist weg, genauso wie der dritte Mann, der die Juwelierverkäuferinnen mit einer Gaspistole bedroht hatte, während die beiden Angeklagten die Vitrinen mit einem Hammer aufschlugen, an den Scherben mit ihren Strickhandschuhen hängenblieben, die Handschuhe auszogen, die Uhren mit bloßen Händen herausholten und sich dabei erheblich schnitten. „Irgendwie unprofessionell“, fanden das die Schmuckfrauen.

Zwei Detektive vom gegenüberliegenden Karstadt hatten die Täter beobachtet, verfolgten sie bis in die Böttcherstraße. Wenig später nahm die Polizei die zwei jungen Männer fest, der Dritte – gestern als „der Boss“ bezeichnet – blieb verschwunden.

Wenn es stimmt, was die zwei Angeklagten gestern zu sagen hatten, dann sind sie tatsächlich Anfänger in der Branche.

Die beiden, Jahrgang '81 und '82, waren eigens für den Überfall aus Polen gekommen. Dort habe man sie angeheuert. Der eine erklärt, er habe Geld verdienen wollen, ein Kumpel aus dem Knast – da saß er ein wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ – habe ihm gesagt: „Der Tag kommt bald, an dem du Geld verdienen wirst.“

Der andere Angeklagte – ebenfalls in Polen vorbestraft „wegen einer Schlägerei“ – hingegen beharrt darauf, er sei gezwungen worden. Er erzählt von einem Wald und wie er, eine Waffenmündung hinter sich, ein Loch schaufeln musste, sein eigenes Grab – da habe er zugesagt. Die Richterin glaubt ihm nicht, aber der Pole bleibt dabei: „Es war so.“

Zu dritt also enterten sie das Juweliergeschäft, die Verkäuferinnen verstanden nur wenige Worte: „Ganz ruhig“, „schnell“ und „die nicht“, sämtlich gesprochen vom verschwundenen Dritten, der genau wusste, was sehr wertvoll ist und was weniger. Sie hätten sich gemeinsam mit zwei Kunden, die noch im Laden waren, im Kreis aufgestellt, erzählen die Angestellten, und sich in den Armen gehalten. „Das hat uns Kraft gegeben“, sagt eine Verkäuferin. Nach dem Überfall seien sie noch bis neun Uhr abends im Geschäft gewesen, hätten alle fehlenden Stücke notiert für die Versicherung, zu hause dann „habe ich Schüttelfrost bekommen, heiß und kalt und Fieber, aber am nächsten Tag bin ich trotzdem wieder ins Geschäft gegangen.“ 20 Jahre sei sie im Juweliergeschäft, 15 Jahre bei Brinckmann & Lange, an jenem Tag im November habe sie ihren ersten Überfall erlebt. Es war der erste von inzwischen vier Überfällen auf das Geschäft in den vergangenen sechs Monaten – bei zweien davon raste ein Auto mit Karacho ins Schaufenster. Beim zweiten Überfall war die Verkäuferin nicht da. „Dafür danke ich Gott.“

Ihre Kollegin hatte beim nächsten Überfall nicht frei – im Gerichtssaal muss sie erst die Tränen unterdrücken, bevor sie sprechen kann. Den ersten Überfall – „den hat man noch weggesteckt, dann kam der zweite, da konnte ich halt nicht mehr.“ Sie stockt, schluckt. „Seither habe ich auch Probleme.“ Sie war krankgeschrieben, jetzt arbeitet sie wieder.

Die Angeklagten wollen noch etwas sagen. Einer nach dem anderen steht auf, murmelt etwas auf Polnisch, und die Dolmetscherin übersetzt: „Ich möchte Sie sehr, sehr herzlich um Entschuldigung bitten, dass ich Ihnen soviel Leid zugefügt haben.“ Die Verkäuferin guckt vor sich auf die hölzerne Tischplatte. Dann sagt sie, und es klingt dumpf: „Das ist ja nicht mehr zu ändern, nicht?“

Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt. sgi