Rückfall unter Bundesniveau

Die Bürgerschaft beschloss: Radio Bremen muss Parteienwerbung senden, die betriebliche Mitbestimmung wird eingeschränkt, der Rundfunkrat neu zusammengesetzt – und das alles im Schnelldurchlauf

„Feige, schlechter politischer Stil, Riesensauerei“. Anja Stahmann von Bündnis 90/Die Grünen fasste die Empörung ihrer Fraktion über Verfahren und Inhalt der Novellierung des Radio Bremen-Gesetzes in deutliche Worte. Einmal mehr hätten sich die Abgeordneten der großen Koalition zu „Marionetten der Senatskanzlei“ gemacht. Anders ausgedrückt: Gestern beschloss die Bürgerschaft (Landtag) die Änderung des Radio Bremen-Gesetzes.

Hauptkritikpunkt: Die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte der Radio Bremen-MitarbeiterInnen in einem stark gerafften Abstimmungsverfahren. Ohne Betroffenen-Anhörung oder Ausschussberatung, mit unmittelbar hintereinander erfolgter erster und zweiter Lesung wurde ein Gesetz beschlossen, dessen Vorlage den Parlamentariern erst drei Tage vorher zugeleitet worden war. Im Klartext: Das Parlament vollzog die Vereinbarungen des Koalitions-Ausschusses nach, der am Sonntag getagt hatte (siehe taz vom 10. Juni).

Ähnliche Erregung wie bei der kleinen Opposition herrschte bei den rund 60 MitarbeiterInnen von Radio Bremen, die sich in den Parlamentsfluren lautstarke Debatten mit den Abgeordneten lieferten. Die große Befürchtung: Betriebsbedingte Kündigungen – bis 2005 muss Radio Bremen auf Grund des verringerten ARD-Finanzausgleichs weitere 150 Stellen abbauen – wären nun leichter durchzusetzen. Andreas Reichstein, für die „ver.di“ Vorsitzender des Tarifausschusses öffentlich-rechtlicher Rundfunk: „Der Personalabbau soll jetzt ohne wirksame Beteiligung der Personalvertretung zügig vorangehen.“ Dass die SPD dieser Beschneidung zustimme, sei „unerträglich“.

Deren medienpolitischer Sprecher, Frank Schildt, gab an, sich damit „nicht leicht getan“ zu haben und Bürgermeister Hartmut Perschau (CDU) äußerte „gewisses Verständnis“ für die Empörung über das eilige Verfahren. Dessen Inhalt halte er aber keinesfalls für „entrüstungspotentialträchtig“.

Man gleiche sich lediglich an bestehende Bundesgesetze an – insbesondere die Kooperation zwischen RB und dem NDR (etwa in Gestalt des „Nordwestradios“) erfordere eine einheitliche Gesetzesgrundlage.

Aktuelles Beispiel für die Relevanz der Gesetzesnovellierung ist der umstrittene Sozialplan für Radio Bremen-MitarbeiterInnen. Bisher gibt es keine Einigung über den Bestandsschutz im Fall von Outsourcing. Nach der früheren Gesetzesfassung hätte die „Einigungsstelle“ unter Mitwirkung eines neutralen Schlichters das letzte Wort gehabt. Von nun an liegt das „Letztentscheidungsrecht“ beim Intendanten – wenn es ihm zur „Erfüllung der Aufgaben der Anstalt“ notwendig erscheint.

Damit gilt für Radio Bremen als erster Einrichtung nicht mehr das Bremische Personalvertretungsgesetz. Die Begründung, damit nur eine Angleichung an das entsprechende Bundesgesetz zu vollziehen, führt nach Meinung vieler in die Irre: Denn dieses gilt keineswegs für die anderen Landessender, mit Ausnahme der Mehrländeranstalten NDR und MDR. Und selbst die kennen kein Letztentscheidungsrecht des Intendanten. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 ermöglicht es „gewählten Betriebsleitern“ allerdings grundsätzlich, ein solches Recht zu erklagen.

Der gestrige Bürgerschaftsbeschluss verändert Radio Bremen auch in anderer Hinsicht. Bisher war es bundesweit eine Insel der Freiheit von Parteienwerbung – in Wahlkampfzeiten gab es lediglich „redaktionell gestaltete Aufrufe zur Wahlbeteiligung“. Damit ist es nun – zumindest in Bezug auf Bundestags- und Europawahlen – vorbei.

Auch die gesellschaftliche Kontrolle des Senders in Gestalt des Rundfunkrates verändert sich. Dessen Zusammensetzung ist überarbeitet worden, was die Koalitionsparteien unter anderem mit der Veschmelzung von Arbeiter- und Angestelltenkammer und den Neukonstruktionen der Gewerkschaften begründen.

Aus Sicht der Journalisten-Verbände DJU und DJV bedeutet das im Ergebnis jedoch eine „Schwächung des journalistischen Sachverstandes“ im Gremium. „Klammheimlich“ und ohne öffentliche Debatte sei das Gewicht der Fachverbände von sechs auf drei Prozent halbiert worden.

Henning Bleyl