Benimm „auf Stottern“

Gisela Stange, 73, über den frühen Pendelverkehr

Das Leben wollten wir spüren, 45, nach dem Krieg. Wir waren eine Hand voll junge Leute aus Britz. „Auf zur Tanzschule Hans Geissler am Ku’damm“, beschlossen wir. Der hatte gleich nach dem Krieg wieder aufgemacht. Ich war gerade 16, und der Ku’damm war weit. S-Bahn war das Einzige, was fuhr, allerdings nur „auf Stottern“ wie wir sagten. Wegen der vielen Lücken durch Bomben war überall was heute „Pendelverkehr“ heißt. Wir wohnten am Ende der Germanenstraße.

Da ging’s erst mal zu Fuß bis zur S-Bahn Hermannstraße. Von dort fuhren wir bis Papestraße. In Papestraße aufs andere Gleis und bis Westkreuz. Wieder aufs andere Gleis bis Charlottenburg. Von dort dann wieder zu Fuß. In der Tanzstunde lernten wir Benimm. Nach strengem Reglement. Eigentlich hatten wir Britzer uns ja schon in Pärchen aufgeteilt, aber die Tanzstunde hat uns einen eigenen Tanzstundenpartner zugeteilt. Meiner kam aus Siemensstadt. Zum Benimm gehört, dass der Mann seine Partnerin nach Hause begleitet. Jetzt stellen sie sich vor, der Junge ist also mit uns von Charlottenburg zum Westkreuz gefahren. Dann Gleiswechsel und weiter bis zur Papestraße. Dort war um diese Uhrzeit Schluss. Da musste der, ich weiß noch nicht mal mehr, wie er hieß, zuerst mit uns nach Britz gehen und anschließend den ganzen Weg wieder zurück bis nach Siemensstadt tapern. Aber wir waren gut zu Fuß. Und glücklich, weil der Sommer so schön war. PROTOKOLL: WS