Loja Dschirga wählt Karsai

Der bisherige Interimsregierungschef Afghanistans bringt die Mehrheit der 1.600 Delegierten hinter sich. Der erstmals gewählte Präsident appelliert in einer emotionalen Rede an die Einheit des Landes und sagt der Korruption den Kampf an

aus Kabul SVEN HANSEN

Der bisherige afghanische Interimsregierungschef Hamid Karsai ist von der Großen Ratsversammlung (Loja Dschirga) zum Übergangspräsidenten gewählt worden. Dem 44-jährigen Karsai hatten bereits bei der Kandidatenkür zwei Drittel der 1.600 Delegierten ihre Unterschrift gegeben. Außer Karsai kandidierten die erste weibliche Bewerberin in der Geschichte des Landes um das Präsidentenamt, die Ärztin Massuda Dschalal, sowie der von einem Bündnis demokratischer Gruppen aufgestellte Hochschulprofessor Mahfus Nadai. Sie hatten 188 bzw. 173 Unterschriften für ihre Kandidaturen. Dschalal soll kurz vor der Wahl angeblich zu einem Verzicht auf ihre Kandidatur gedrängt worden sein. Bei Redaktionsschluss war das genaue Ergebnis der Auszählung unter den Augen internationaler Beobachter noch nicht bekannt gegeben.

Karsais Wahl galt als sicher, seit am Montag der von vielen zur Kandidatur gedrängte frühere König Sahir Schah dies auf Druck des US-Sondergesandten ausgeschlossen und für Karsai geworben hatte. Zwar hatten sich viele Delegierte verärgert über die Einmischung der Vereinigten Staaten geäußert. Doch angekündigte Proteste und befürchtete Unruhen blieben aus. Während am Mittwoch die Delegierten bis in die Nacht über das Präsidium der Loja Dschirga abstimmten und in der Debatte viele Themen ansprachen, ging es gestern verhältnismäßig zügig voran.

Nachdem die drei KandidatInnen feststanden und sich vorgestellt hatten, wurde sogleich über den Abstimmungsmodus debattiert. Alle Redner sprachen sich für geheime Wahl aus. Hinter einem blauen Samtvorhang warfen die Delegierten die Stimmzettel, bei denen jeweils ein Foto der Kandidaten einzukreisen war, in nach Provinzen gekennzeichnete Wahlurnen.

Ursprünglich gab es nach der Kandidatenvorstellung 160 Redeanträge, doch erst heute und damit nach der Präsidentenwahl soll aus jeder Provinz und aus jeder gesellschaftlichen Gruppe ein Redner sprechen dürfen. Karsai hatte mit einer emotionalen halbstündigen Rede an die Einheit der Afghanen appelliert. Die von der internationalen Gemeinschaft in Aussicht gestellten Milliardenbeträge für den Wiederaufbau nannte er eine „einmalige Chance“, die nicht verspielt werden dürfe. Er wolle die Korruption bekämpfen. Einige Warlords, die Teil seiner Regierung sind oder ihm Unterstützung zusagten, stellte er als ehrenwerte Männer dar. „Abdul Raschid Dostum hat mir gesagt, er wolle kein Soldat mehr sein“, sagte Karsai. Auch einfache Taliban seien keine Terroristen. Diese seien vielmehr aus dem Ausland gekommen. Afghanistan wolle gute Beziehungen zu seinen Nachbarn und der Welt, erklärte Karsai. Für seine Rede, die er zunächst in Paschtu und dann in Dari hielt, bekam er stehende Ovationen.

Die Loja Dschirga hatte am Mittwoch bis weit nach Mitternacht über das Präsidium der Versammlung entschieden. Der Verfassungsjurist Ismail Qasemyar, der schon das Vorbereitungskomitee geleitet hatte, wurde zum Versammlungsleiter gewählt. Die Frauenministerin Sima Samar wurde seine Stellvertreterin. Die Loja Dschirga will in den nächsten Tagen noch über die Schlüsselpositionen der Regierung, eine Verfassungskommission und ein Übergangsparlament entscheiden.

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