Ohne Moos nichts los

Schuldnerkarrieren fangen häufig früh an, denn viele Jugendliche haben keine Beziehung mehr zu dem, was sie sich finanziell leisten können. Prävention heißt deshalb das Zauberwort

von HELENE BUBROWSKI

Andreas ist 19 Jahre alt und steht bereits mit 10.000 Euro in der Kreide. Diese Summe hat der Lehrling an drei Tagen für Klamotten, Turnschuhe und Elektronikgeräte ausgegeben. Bezahlt hat er stets mit EC- und Kreditkarte. H&M, Media-Markt und andere Kaufhäuser erstatteten Anzeige. Er sei von seiner Clique unter Druck gesetzt worden, die hätten ihm versprochen, das auf Pump Gekaufte später teurer zu verticken, versucht er sich rauszureden. Die Gläubiger und der Richter glauben ihm nicht. Er wird wegen Betrugs verurteilt.

„Wer sich in einer solchen Lage befindet, betrachtet meist nur noch seine Schuhspitzen“, beschreibt Eric Laugell, Leiter der Insolvenzberatung Alstercity, die Beklemmung des Verschuldeten. Mit seinem Lehrlingsgehalt von gut 400 Euro kann er seine Kredite nicht tilgen, das Wasser steht dem jungen Mann bis zum Hals; er ist überschuldet.

Bei zwei Drittel aller Ratsuchenden, die die kostenlose Schuldnerberatung in den Bezirken aufsuchen, müsse ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden, so Laugell. Dann sei es eigentlich schon zu spät, dann könne man nur noch versuchen, mit den Gläubigern einen Vergleich auszuhandeln. Doch statt sich Rat zu holen, bevor die Finanzkrise ganz akut ist, kämen die meisten Menschen aus Angst vor dem „erhobenen Zeigefinger“ erst, wenn „der Gerichtsvollzieher schon vor der Tür wartet“.

Dabei brauche sich keiner zu schämen, denn „wir sind die Lobby der Verschuldeten“. Die Berater erstellen für sie Haushaltspläne, klären ihre Rechte und Ansprüche, verteidigen sie gegenüber Abzockern. Um auf dieses Angebot aufmerksam zu machen, hat die Schuldnerberatung des Bezirksamts Mitte die Aktionswoche „L.O.S. – Leben ohne Schulden“ organisiert.

Illustriert wurde „L.O.S“ mit Plakaten der Technischen Hochschule, die Studierenden sollten sich künstlerisch mit Schulden und Prävention auseinandersetzen. Zum Beispiel Verena Schöttmer. Sie interpretiert das Thema auf der „Ebene einer zwischenmenschlichen Beziehung“, schließlich sei bei Hochverschuldeten „die Beziehung zum Geld nachhaltig gestört“. „Lass das Ding in der Hose“ oder „Hau ab, Du nervst“, sagt der Geldautomat zum verschuldeten Jugendlichen. Groß darunter heißt es: „Dein Konto braucht Liebe“.

Verniedlichend, sagt die 24-Jährige, sei das nicht gemeint, eher provozierend. Denn Schuldnerkarrieren muss vorgebeugt werden, am besten schon in jungen Jahren. „Jugendliche haben keine Beziehung mehr zu dem, was sie sich leisten können“, erklärt Beraterin Gisela Wegner. Die Werbung suggeriere, ohne „das neueste Handy und die Turnschuhe der aktuellsten Generation“ sei man nicht mehr „angesagt“; das bargeldlose Bezahlen erschwere den Überblick über die finanzielle Situation: Das Konto wird erst gesperrt, wenn es weit überzogen ist.

Prävention heißt also das Zauberwort, und da, sagt Bring Friede Kahrs, Leiterin des Zentrums für Schule und Wirtschaft, sei neben den Eltern auch die Schule gefordert. In Kooperation mit dem Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) sollen daher ab Februar 2003 in den Sekundarstufen I und II Unterrichtseinheiten und Projektwochen zum Thema Verschuldung angeboten werden.