Selbstmörderischer Bumerang

Was tun gegen Rechtspopulisten? (4): Linke müssen sich besonders vor populistischer Demagogie hüten – denn auf diesem Feld sind ihnen die Rechten eindeutig überlegen

Nicht einmal die rückgratlosesten Sozialdemokraten können Politik nur mit Ressentiments machen

Populisten und populistische Parteien gibt es überall in Europa. Sie alle stehen rechts oder ganz weit rechts. Natürlich gibt es auch linke Politiker, die gelegentlich versuchen, sich populistisch zu profilieren – bei den deutschen und französischen Grünen etwa, aber auch bei verschiedenen europäischen sozialdemokratischen Organisationen und anderswo. Trotzdem existierten in Europa keine linken populistischen Parteien. Warum eigentlich?

Das Lexikon definitiert Populismus als „eine demagogische Politik, die darauf gerichtet ist, durch Dramatisierung der politischen Lage die Zustimmung der Massen zu gewinnen“. Diese Definition hilft nicht weiter: Zur Dramatisierung der politischen Lage neigen – insbesondere in Wahlkampfzeiten – alle Parteien. Auch das Ringen um die Zustimmung der Massen ist überall politischer Alltag.

Nach der formalen Definition des Lexikons wäre mithin alle Politik identisch mit Populismus. Zwar ist die Rhetorik Oskar Lafontaines in ihrer propagandistischen Form von der Jürgen W. Möllemanns oder des Schweizer Populisten Christoph Blocher nicht zu unterscheiden. Dennoch dürfte feststehen, dass SPD, FDP und Blochers Schweizer Volkspartei SVP nicht vergleichbar sind.

Worin liegt also das inhaltliche Spezifikum populistischer Parteien? Populisten leben programmatisch von der Aktivierung, der Dramatisierung und der damit einhergehenden Politisierung von Ressentiments gegenüber religiösen, ethnischen, nationalen, sprachlichen und sozialen Minderheiten. Parallel dazu werden die eigene Herkunft, der eigene Glaube, die eigene Sprache und die eigene Ethnie in der Regel zirkulär eingebunkert. Der dabei verwandte Begriff von Identität ist völlig unklar: Frankreich den Franzosen; Einbürgerung nur für Christen; Staatsbürgerschaft nur mit ausreichenden Kenntnissen der Landessprache; Integration nur für kulturell Angepasste. Hautfarbe, Kopfbedeckung, Kleidertracht, Brauchtum und so fort werden von populistischen Parteien programmatisch dreifach instrumentalisiert.

Erstens dient der Identitätsbegriff – jenseits der unumgänglichen Abgrenzung von Ich/Nicht-Ich bei der Selbstfindung –, zum kollektiven Kult ritualisiert, der sozialen und kulturellen Ausgrenzung Fremder. Zweitens bildet er das Substrat für die wirtschaftliche Bevorzugung der Einheimischen und Eingeborenen oder genauer: zum wohlstandschauvinistischen Schutz von Besitzständen gegenüber den Ansprüchen von Zugewanderten und Armen. Und drittens bedeckt er die Ungleichbehandlung mit einem Rechtsschleier – und beansprucht so Rechtmäßigkeit für Unrecht.

Ein einzelner linker Politiker kann sich natürlich populistisch darstellen und sich die eine oder andere Instrumentaliserung von Ressentiments gegenüber religiösen, ethnischen, nationalen, sprachlichen und sozialen Minderheiten im allgemeinen politischen Handgemenge von Wahlkämpfen zu Eigen machen. Die rassistischen Ausfälle des tschechischen Ministerpräsidenten gegen vertriebene Deutsche und Palästinenser belegen das aktuell ebenso wie die Funktionalisierung des Streits um Kopftücher tragende Mädchen zu bildungspolitischen Zwecken.

Aber nicht einmal die rückgrat- und knochenloseste sozialdemokratische Partei könnte billige Ressentiments zur programmatischen Grundlage machen. Sie wäre als linke Partei unglaubwürdig und chancenlos im Profilierungskampf mit den anderen politischen Organisationen. Zur programmatisch-theoretischen Grundlage einer sich auch wie immer links verstehenden Partei gehören zwingend individuelle Freiheit, rechtliche Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität – und zwar dreifach: als rhetorische Phrasen, als politische Kampfbegriffe und als Basis von Rechtsansprüchen. Das Verhältnis von nur phrasenhaftem, tagespolitischem und substanziellem Gebrauch der Begriffe Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität bestimmt die Konsistenz linker Programmatik und Politik.

Aber selbst wenn diese Konsistenz gegen null tendiert, weil die Begriffe nur noch phrasenhaft und tagespolitisch von Bedeutung sind, wie bei vielen Sozialdemokraten, kann sich damit nur ein einzelner linker Politiker populistisch profilieren – etwa dank persönlichen Eigenschaften wie Charisma oder demagogischem Talent, die den programmatischen Selbstwiderspruch zwischen linkem Anspruch und der bloß instrumentellen Politisierung von alltäglichen Ressentiments kaschieren. Täte eine sozialdemokratische Partei dasselbe, könnte sie einen solchen Selbstwiderspruch keinen Wahlkampf lang überleben.

Für linke Parteien bilden populistische Anleihen eine Gefahr. Selbst wenn die Partei nach der Wahl nicht umsetzen muss, was sie versprochen hat – zum Beispiel, weil sie nicht gewählt wurde oder weil sie sprichwörtlich „vergessen“ hat, was sie versprochen hat –, kann sie die programmatische Grundlage und die Wahlkampfversprechen nicht einfach populistisch eindampfen. Für linke Parteien ist die populistische Karte ein selbstmörderischer Bumerang. Überall wo linke Parteien zum vermeintlich rettenden Mittel greifen und lediglich gängige Ressentiments aller Art politisieren, werden sie sofort von rechts überboten.

Jacques Chirac spielte im Wahlkampf die Frage der Sicherheit in populistischer Manier als Schlüsselfrage in den Vordergrund. Wie überall wird die Frage der Sicherheit gleichsam automatisch mit jener des Umgangs und des Zusammenlebens mit Einwanderern verbunden. In Frankreich kommt damit zwangsläufig das Verhältnis von Weißen und Nichtweißen ins Spiel. Als Jospin merkte, dass er ins Hintertreffen geriet, setzte er in letzter Minute ebenfalls auf die Sicherheitskarte – und wurde von Chirac populistisch überfahren, denn der verschärfte die Sicherheitsdebatte so brutal vereinfachend, dass Jospin nur um den Preis des Verlusts von linken Stammwählern hätte mithalten können.

Populisten leben von der Aktivierung, der Dramatisierung und der Politisierung von Ressentiments

Ziehen linke Parteien die populistische Karte, erkennen die politischen Gegner, die kritische Öffentlichkeit und im Idealfall die eigenen Mitglieder die Aussichtslosigkeit des politischen Kalküls. In der Grundgesetzdebatte zur Änderung des Artikels 16 über das Asylrecht konnten Teile der SPD nur unter Verrenkungen und Selbstverleugnungen vorübergehend auf den populistischen Kurs der Regierung einschwenken – aber nicht die ganze Partei.

In Holland und in der Schweiz versuchten linke Parteien, auf dem vermeintlichen Königsweg zur Mitte mit dem Populismus der Konservativen mitzuhalten und „einfach auszusprechen, was das Volk denkt und keiner sagt“ – zum Beispiel in der Ausländerpolitik. Sie wurden ausnahmslos rechts überholt und erlitten dramatische Wahlniederlagen.

Linke Politik braucht Inhalte. Linke Organisationen und Parteien werden den Populismus also auch zukünftig nicht als politisches Konzept nutzen können. RUDOLF WALTHER