berliner szenen Der S-Bahn-Ring

Strecke ohne Ende

Es riecht nach Farbe. Die Handläufe an der Treppe strahlen grün wie die S-Bahn-Schilder überall in der Stadt. Auf dem Bahnsteig stehen ältere Herren mit Fotoapparaten. „Gesundbrunnen Ostkreuz Papestraße Westkreuz“, steht auf der Anzeigetafel; die einfahrende S-Bahn trägt am Bug ein Schild: „Der Ring ist komplett!“ 16.10 Uhr ab Witzleben, zurückbleiben bitte. Das Kind mit dem grünen Luftballon bekommt einen Keks in den Mund geschoben, sein Vater betrachtet den Linienplan über der Tür des Waggons. Wo bisher eine Lücke klaffte, zwischen den Stationen Westhafen und Schönhauser Allee, ist die braune Linie durchgezogen wie vor dem Mauerbau. Eine Strecke ohne Ende. Neben den Gleisen blüht der Mohn, in der S-Bahn steht die Luft, die Passagiere sehen sich erwartungsvoll an. Kurz vor dem Westhafen: Der Schotter rings um die Schienen und Schwellen ist noch nicht richtig verteilt und die Schienen winden sich roh und rostig bis in den Bahnhof hinein. Menschentrauben auf dem Bahnsteig verdecken die Sicht auf den historischen S-Bahn-Zug, der auf dem gegenüberliegenden Gleis eingefahren ist. Mit Email-Schildern über den Türen: 3. Klasse, 1. Klasse, Schwerbeschädigte. „Fernsehn is ooch hier“, bemerkt der Herr am Fenster. 16.30 Uhr, Gesundbrunnen, der Schraubverschluss der Thermoskanne auf dem Nebensitz lässt sich nur schwer öffnen, aber dann zieht der Duft nach Kaffee durch den Wagen. An der Greifswalder Straße steigen zwei Uniformierte ein, die ein Schild am Revers als Fahrgastbetreuung ausweist. Sie betreuen niemanden und steigen an der Sonnenallee aus. Vor der S-Bahn-Klause am Bahndamm strahlt das Bier in der Sonne. 17.10 Uhr Hohenzollerndamm, 17.15 Uhr der Geruch nach frischer Farbe in Witzleben. ANNE KRAUME