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Mein Leben ohne Welthandel

Wo bitte geht’s zum politischen Kampf? Das Stück „Schieß doch, Kaufhaus!“ schaut fünf Figuren beim Sinnsuchen zu. Der Autor Martin Heckmanns hat Ernst Jandl in den Diskurs geschickt. Die Regisseurin Simone Blattner gibt Sketch und Gesang hinzu

von ESTHER SLEVOGT

„Schmeiß dich in irgendeinen Kampf, solange du noch einen Körper hast!“, sagt eine junge Frau mit Militärhose und zierlichen Bizepsen unterm T-Shirt. Manchmal holt sie zu Tritten aus, die nach Karate aussehen. Eigentlich will sie den politischen Kampf. Wenn das so einfach wäre. Früher zündete man bloß ein Kaufhaus an und war politisch. Jetzt sind das nicht mal mehr die Politiker. „Die Freiheit ist so grenzenlos frei, / die Offenheit mündet so offen ins Offene, / dass dein Ruf verklingt, in dem du fragen wolltest: / IST DA NOCH JEMAND?“, sagt die Frau mit dem Namen „Ätz“.

„Schieß doch, Kaufhaus!“ heißt das Stück des 28 Jahre alten Berliner Dramatikers Martin Heckmanns. Doch hier schießt weder ein Kaufhaus, noch wird es angezündet. Vielmehr steht es für die diffuse Sehnsucht nach Lebenssinn, den frühere Generationen im politischen Kampf gegen die sie deformierenden Verhältnisse suchten. Am 9. Mai wurde das Stück, von Simone Blattner inszeniert, in Dresden uraufgeführt – als Auftragsarbeit und Koproduktion von den Sophiensælen, dem Theaterhaus Jena und dem TIF des Staatsschauspiels Dresden. Spätestens seit im letzten Jahr Christine Pohles Inszenierung von Gesine Danckwarts „Täglich Brot“ zum Renner der Saison wurde, haben die beteiligten Theater ein ziemliches Renommee als Trüffelschweine für zeitgenössische Themen und Talente. In den Sophiensælen fand jetzt die Berliner Premiere statt.

Fünf Personen auf der Suche nach einem Leben: „Was das Leben wäre, gäbe es den Welthandel nicht, habe ich nie erfahren“, sagt Kling, eine zarte junge Frau mit Hang zur Melancholie. Manchmal möchte sie singen. Mehr kann man über sie nicht sagen. Denn Heckmanns’ Figuren sind nur vage umrissen. Das entfremdete Leben hat aus Individuen Schablonen gemacht. Gestalten wie den Dauerschwätzer Fetz oder Knax, den fröhlichen Politschwadroneur. Selbst ihr Protest gegen den globalisierten Markt ist schablonenhaft: „Welche Art von Widerstand muss geleistet werden, wenn wir eine Anbindung an die Unterwerfung im Bereich des Unbewussten feststellen?“, fragt Fetz das Publikum. Eine Weile sitzen dann alle fünf – Ute Baggeröhr (Ätz), Hagen von der Lieth (Fetz), Barbara Wurster (Klar), Tjadke Biallowons (Kling) und Andreas Nickl (Knax) – am äußersten Rand des leeren Spielpodests (Bühne: Thilo Reuther) und tun so, als wäre das Theater noch eine funktionierende moralische Anstalt, die Probleme erkennt und deren Veränderung beschließt. Weil auch das Publikum nicht klüger ist als die Welt, aus der es stammt, liegt die Qualität seiner Beiträge zwischen grenzdebil und nicht erwähnenswert. Barbara Wust setzt schnell wieder ihr Hostessenlächeln auf, wirft ihre Sex-Appeal-Maschine an, und weiter geht’s im Diskursapparat. Textbausteine ergeben Sprachhülsen aus Ideologiekritik, Psychosprache, Managerseminar und dem Politjargon der Generation „Attac“, die manchmal an René Pollesch erinnern. Doch Heckmanns mischt eine gehörige Portion Ernst Jandl in die Dialoge. Seine Figuren sprechen immer noch eine Sprache der Poesie, die Autoren wie Danckwart und Pollesch den ihren längst ausgetrieben haben.

Simone Blattner hat die Textpartitur stimmig in Szene gesetzt, die fabelhaften fünf immer wieder zu chorartigen Formationen arrangiert. Kleine Sketche, mittlere Gesangseinlagen und große Szenen münden am Ende in einen Schlusschor, der zum Angriff auf die globalisierte Kultur des Kapitalismus bläst: „Los geht’s nach Island, Bjök schwängern, hui. /Von einem Geysir aus, hochgejubelt, /England beschießen, piff, piff, paff. Dublin sowieso, patzdong.“

„Schieß doch, Kaufhaus!“, Sophiensaele, 20. bis 23. Juni, 21 Uhr

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