Hauptstadt des Streiks

Seit heute Morgen wird auf den Großbaustellen in Mitte gestreikt. Nirgendwo gibt es so viele Baustellen wie in der Hauptstadt. Intensivierung des Streiks geplant

Erstmals in der Nachkriegsgeschichte wird seit heute flächendeckend auf deutschen Baustellen gestreikt – und Berlin ist nach Auskunft der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ein Schwerpunkt der Streiks. Kein Wunder, denn in keiner anderen Stadt der Bundesrepublik gibt es mehr Baustellen: so viele, dass sie der Geschäftsführer Berlin-Brandenburg der IG BAU, Rainer Knerler, nur auf „einige hundert“ schätzen kann. An der Spree sollen in den kommenden Tagen „flächendeckend die großen Baustellen“ bestreikt werden, so Knerler. Ab heute ruhen die Arbeiterhände auf den Großbaustellen in Mitte, unter anderem am „DomAquaree“ gegenüber vom Berliner Dom, am Palast der Republik und am Leipziger Platz.

Nach Auskunft von Knerler wird Mitte dieser Woche in der Hauptstadt ein Bauvolumen von etwa 2 Milliarden Euro vom Streik betroffen sein (im vergangenen Jahr lag das Bauvolumen an der Spree bei ungefähr 6 Milliarden Euro). Knapp unter tausend Berliner Bauarbeiter werden sich nach Angaben des regionalen Streikführers am Ausstand beteiligen. Insgesamt haben hiesige Unternehmen der Branche 14.000 Beschäftigte. Auf den Baustellen der Stadt schuften noch einmal so viele Menschen von außerhalb. Hinzu kämen noch geschätzte 14.000 Arbeiter, die illegal an der Spree beschäftigt würden. In der Hauptstadt sind nach Gewerkschaftsangaben gleichzeitig etwa 15.000 Bauarbeiter arbeitslos.

Die Gewerkschaft verfolge die Strategie, im Laufe der Woche den Streik zu intensivieren, wenn die Arbeitgeber nicht zu besseren Angeboten im Tarifkonflikt bereit seien, erklärt Knerler. So soll ab morgen das Lenné-Dreieck gegenüber dem Leipziger Platz bestreikt werden. Auch einige Arbeiten an Verkehrsknotenpunkten wie an der Autobahnabfahrt Hohenzollerndamm und am Nordkreuz sollen betroffen sein. Wenn sich der Konflikt weiter zuspitze, könnte auch der Umbau des Olympiastadions betroffen sein, droht der IG-BAU-Mann.

Die IG BAU fordert für die bundesweit 850.000 Beschäftigten der Baubranche 4,5 Prozent mehr Lohn. Das Angebot der Arbeitgeber liegt bislang bei 3 Prozent. Der Gewerkschaft geht es insbesondere um höhere Mindestlöhne in den neuen Ländern. Dieses Ziel macht Berlin für die Gewerkschaft zu einem wichtigen Streikort, da die Hauptstadt „ein klassischer Mischbezirkt von Ost und West“ ist, wie Rainer Knerler sagt: „Hier können wir zeigen, dass es uns nicht allein ums Geld geht.“

PHILIPP GESSLER