Ätsch, ihr Besserwisser

Mit Hilfe eines mühseligen 1:0 gegen Paraguay erreicht die DFB-Auswahl nicht nur das Viertelfinale der WM, sondern schafft ihrem Teamchef Rudi Völler zudem die leidige Systemdiskussion vom Hals

aus Seogwipo FRANK KETTERER

Rudi Völler, der Teamchef, sagte danach: „In der ersten Halbzeit haben wir keinen guten Fußball gespielt. Eigentlich haben wir gar keinen Fußball gespielt.“ Marco Bode, der Mann von der linken Flanke, ergänzte: „Es war ein glücklicher Sieg, weil er durch ein spätes Tor zustande kam.“ Miroslav Klose, der neue Stürmerstar der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hatte erkennen müssen: „Heute war es schwer, auch für mich persönlich.“ Und all die Statements kulminierten in Oliver Kahns – der Torhüter, der am Sonnabend seinen dreiunddreißigsten Geburtstag feierte – Feststellung: „Wir müssen natürlich noch mehr Fußball spielen.“

Ein vorgezogener Urlaub

Wozu die deutsche Mannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft immerhin nochmals die Möglichkeit bekommt. Durch den mühsamen 1:0-Sieg im Achtelfinale gegen Paraguay hat das Team von Rudi Völler nämlich tatsächlich das Viertelfinale erreicht und trifft in diesem am Freitag auf Mexiko oder die USA. Und wenn Selbsterkenntnis tatsächlich der erste Weg zur Besserung ist, könnte auch diese Klippe umschifft werden. Beide potenzielle Gegner gelten jedenfalls als das, was man gemeinhin eine lösbare Aufgabe nennt.

Was andererseits bei dieser WM so viel nicht zu besagen hat, frag nach bei Frankreich, Argentinien oder Portugal. Oder blick zurück auf den Samstag, der für die deutsche Mannschaft ein mühevoller war – und für die Zuschauer im Cheju World Cup Stadium zu Seogwipo ein gähnend langweiliger, schon weil in der ersten Halbzeit, um in des Teamchefs Duktus zu bleiben, kaum geboten wurde, was das Prädikat Fußball verdient hätte. Woran das Drumherum seinen Anteil gehabt habe, wie Geburtstagskind Kahn befand: „Man hatte nicht das Gefühl, dass es ein WM-Spiel war.“ Die Sonne über Seogwipo schien freundlich und warm, vom Meer her wehte dazu eine sanfte Brise, und auch sonst herrschte eine äußerst relaxte Stimmung im halbleeren Oval. „Ein bisschen wie an einem Urlaubsort“, kam sich Kahn jedenfalls vor, nicht umsonst gilt Cheju ja als das Mallorca Südkoreas, und zu Sonne-, Strand- und Palmen-Stimmung boten beide Mannschaften zumindest in der ersten Halbzeit einen Sonne-, Strand- und Palmen-Kick.

Dann, in der Urlaubspause, rüttelten Kahn („Jetzt spielen wir mal Fußball“) und Völler („Männer, wir sind hier bei einer WM“) die Mannschaft zumindest ein bisschen wach. Das DFB-Team spielte nun etwas vehementer nach vorne, Paraguay igelte sich ein, und so fiel in der 88. Minute tatsächlich der Siegtreffer. „Wir haben gewonnen und insofern alles richtig gemacht“, meinte dazu Sebastian Kehl.

Eine gute Entscheidung

Das gilt vor allem einmal mehr für den Teamchef. Völler hatte seine Mannschaft, die ohne die gesperrten Ramelow, Ziege und Hamann auskommen musste, vor dem Spiel nicht nur darum gebeten, sich gegen die erwartet defensiv eingestellten „Guaranís“ in Geduld zu üben, sondern auch mit der Wahl von Klose-Sturmpartner Oliver Neuville ein geschicktes Händchen bewiesen. „Einerseits hat Oliver gut trainiert, und dann haben wir uns durch seine Schnelligkeit einiges ausgerechnet“, begründete Völler seinen Entschluss, auf den technisch versierteren Leverkusener zu setzen anstatt auf die Brechertypen Jancker oder Bierhoff. Und auch wenn Neuville lange Zeit bei den hünenhaften Abwehrspielern Paraguays ziemlich abgemeldet war, so rechtfertigte er mit seinem späten Tor doch seine Nominierung.

Eine kleine Genugtuung

Dass der kleine Neuville danach „auch ein bisschen Genugtuung“ verspürte, darf man ihm nachsehen, schließlich hatte der 29-Jährige bis kurz vor der WM noch zur Stammbesetzung gehört. Dann aber fehlte er wegen Leverkusens Champions-League-Verpflichtungen bei den letzten drei WM-Tests – und Jancker, Bierhoff sowie Klose teilten das Fell des Bären unter sich auf. Rumgestänkert wie der Kollege Bierhoff hat Neuville trotz seiner Reservistenrolle dennoch nicht, sondern es brav so gehalten, wie Völler ihm geraten hat. „Ich habe ihm gesagt, dass er dranbleiben und den Kopf nicht hängen lassen soll“, verriet der Teamchef.

Vorerst vom Tisch dürfte die Partie gegen Paraguay übrigens auch die für Völler leidige Diskussion über die richtige Abwehrformation gewischt haben. Zwar hatte der Teamchef, dem Wunsch seiner Spieler entsprechend, zunächst eine Viererkette mit Frings, Rehmer, Linke und Metzelder ins Rennen geschickt, vor allem auf das Spiel nach vorne aber wirkte sich das eher hemmend aus. Erst als der Teamchef nach der Pause den agilen Sebastian Kehl für den schwachen Marko Rehmer brachte und wieder auf Dreierreihe umstellte, kam mehr Bewegung und Drang ins deutsche Spiel; in der Partie gegen Kamerun war es genau umgekehrt, was die ganze Diskussion ja erst angezettelt und Völler den Vorwurf eingebracht hatte, er würde mit dem falschen System spielen lassen. „Man hat gesehen, dass das mit Dreier- oder Viererkette nichts zu tun hat“, strich der Teamchef nun heraus und es klang ein bisschen nach: Ätsch, ihr Besserwisser. Und auch Kahn, zuletzt heftigster Anwalt der Viererkette, trat den geordneten Rückzug an: „Das System ist davon abhängig, gegen wen man spielt und wer spielt. Entscheidender sind Mentalität, Charakter und Wille.“

Alle drei waren bei Michael Ballack vorbildlich, auch wenn der Spielmacher wegen einer Muskelverhärtung in den Tagen zuvor diesmal kaum das Spiel machen konnte. „Dass er nicht 100 Prozent fit ist, hat man doch gesehen“, fand auch Rudi Völler, der dem Leverkusener schon allein „hoch anrechnete, dass er sich überhaupt zu Verfügung gestellt hat“. Völler: „Ich habe ihm vor dem Spiel in die Augen gesehen und gewusst: Er will.“ Nun hoffen Teamchef und Spielmacher gemeinsam, dass Ballacks Muskulatur sich weiter enthärtet und er wieder ein paar Prozent Leistungsfähigkeit hinzugewinnt bis Freitag. Dann ist auch Didi Hamann wieder dabei, der von Jens Jeremies zwar ordentlich vertreten wurde, aber als Stratege im defensiven Mittelfeld doch ein bisschen vermisst wurde. Für den Kämpfer Jeremies muss das dennoch nicht Ersatzbank bedeuten, schon weil Christoph Metzelder seit Samstag auch noch am zweiten Knöchel lädiert ist; vielleicht rückt Jeremies für ihn in die Abwehr.

Eine große Hoffnung

Darüber zu spekulieren, war es einen Tag nach dem Achtelfinale freilich noch zu früh. Wenngleich andere noch viel weiter in die Zukunft geblickt haben, Oliver Kahn zum Beispiel. „Jetzt ist sehr viel möglich. Wir können bis ins Finale durchlaufen“, stellte der Torwart lächelnd fest. Und: „Ich rede das nicht so in den Wind. Ich bin davon überzeugt, dass man mit dieser Mannschaft auch ins Finale kommen kann.“