Nur keine Experimente

Edmund Stoibers Führungsstil besticht durch lautlose Effizienz und eine konventionelle Wahlkampagne. Die Konflikte innerhalb der Union werden nach den Wahlen aufbrechen

An Einfluss haben vor allem die nord- und ostdeutschen Christdemokraten verloren – und die Frauen

Dem heutigen Wahlparteitag der Union konnte Edmund Stoiber zuversichtlich entgegenblicken. Der lange Applaus der Delegierten ist vorprogrammiert. Diskussionen über das Wahlprogramm sind dagegen nicht zu erwarten. Die CDU/CSU hat sich zwar als recht unbeweglich erwiesen, dafür aber die Turbulenzen der letzten beiden Jahre sicher überstanden. Nun scheint Stoiber sie zielgenau zu lenken. Die Frage ist nur, wohin.

Hat der anpassungsbereite Kandidat tatsächlich den Kurs der großen Schwesterpartei verändert? Stoibers Zurückhaltung und Kompromissbereitschaft sprechen nicht gerade dafür. Sein Kompetenzteam scheint ebenfalls kaum für einen Neuanfang zu stehen. Dennoch prägte Stoibers Nominierung die Partei. Er verschaffte der CDU vor allem ein neues Außenprofil, ohne dabei ihren Kernbereich zu verändern.

Sowohl in der Programmatik, der Organisation als auch in der Wahlkampfführung setzte er entsprechende Akzente. So verschob sich seit Stoibers Kandidatur die Sprache der Union. Angela Merkel hatte sich lange bemüht, die christdemokratische Programmreform in neuen Kernbegriffen zu verdichten. Die neue soziale Marktwirtschaft, die Wir-Gesellschaft oder ein Vertrag zwischen der Politik und den Bürgern zählten zu Merkels Testballons. Da die Wähler kaum Programme lesen, sind solche Formeln entscheidend. Mit Stoibers Nominierung verschwanden Merkels innerparteilich umstrittene Ansätze schlagartig und finden im neuen Wahlprogramm keine Erwähnung mehr.

Stattdessen setzt die Union nun ganz auf die Magie der Zahl. „3 mal 40“ ist das Ziel ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik, 600 Euro sind der Kern ihrer Familienpolitik. Das wirkt konkret, innovativ und lässt sich leicht behalten. Obendrein passt es zu Stoibers Gestus. Eine inhaltliche Perspektive vermitteln die nackten Zahlen jedoch nicht. Dafür braucht man sprachliche Formulierungen, wenn man nicht zur Partei der 18 werden möchte. Die Wir-Gesellschaft war sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber sie war immerhin ein Versuch, nach der „geistig-moralischen Wende“ wieder neue Begriffe zu platzieren.

Das Wahlprogramm, das die Union heute verabschiedet, konnte an Vorarbeiten aus den letzten drei Jahren anknüpfen. Mitunter stammen die Abschnitte wörtlich aus den Papieren der CDU-Programmkommissionen. Als CSU-Mann war Stoiber an diesen Debatten nicht beteiligt, baute aber auf diesem Fundament auf. Allerdings setzte er zugleich einige abweichende Akzente. In der Wirtschaftspolitik hatte das CDU-Programm etwa im Dezember 2001 einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent gefordert. Stoiber blieb realistischer und strebt lediglich eine Marke von unter 40 an. In der Familienpolitik hatte Merkels Kommission den Beschluss verabschiedet, den Erziehungsurlaub auszubauen. Im Wahlprogramm wird das nicht mehr erwähnt. Vorsichtiger formuliert sind auch die bildungspolitischen Abschnitte. Das maßgeblich von Annette Schavan entwickelte Bildungsprogramm hatte Ende 2000 etwa Fremdsprachen ab der ersten Klasse verlangt, was nun nicht aufgenommen wurde. Die programmatische Diskussion hat Stoibers Nominierung also sicher nicht nach vorne getrieben. Vielmehr bilden seine bayrischen Regierungserfolge die Grundmelodie des CDU-Wahlkampfes. Zu den Wirtschaftsdaten gesellen sich die guten bayrischen Ergebnisse bei der Pisa-Studie.

Ebenso hat sich seit Stoibers Nominierung das organisatorische Gefüge der Union leicht verschoben. Unter Angela Merkel hatte sich die Parteiführung wieder stärker in die Gremien verlagert. Stoiber kann als CSU-Mann die Schwesterpartei gerade nicht über diese offiziellen Organe lenken. Dennoch – oder vielmehr gerade deswegen – besticht sein Führungsstil durch lautlose Effizienz. Auch die hellhörigsten Journalisten vernehmen kaum, wie er eigentlich die beiden Schwesterparteien auf eine Linie bringt. Stoibers Ansprechpartner sind vor allem die Länderchefs und die Fraktion. Die Spitzen der Bundespartei haben das Nachsehen. Nicht nur Merkel, sondern auch ihr Generalsekretär Laurenz Meyer wurde entsprechend geschwächt. Mittlerweile erscheint Stoibers Medienberater Michael Spreng als der eigentliche Generalsekretär der Union. Entsprechend war es Spreng, der in Duellen mit dem SPD-Geschäftsführer Matthias Machnig rang.

Stoibers „Kompetenzteam“ verteilte die Gewichte in der CDU ebenfalls neu. So schmälerte Lothar Späths Nominierung den Nimbus des Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, der bislang als wirtschaftspolitischer Hoffnungsträger der Union galt. An Einfluss verloren vor allem die nord- und ostdeutschen Christdemokraten und die Frauen. Im letzten Jahr war vielfach von Merkels „Girlscamp“ die Rede. Stoiber tat sich dagegen unverkennbar schwer, den Frauen über Annette Schavan hinaus Aufgabenbereiche zuzuweisen. Bei der Wahl werden dementsprechend die Stimmen der Norddeutschen und der Frauen für Stoiber ein besonders unsicheres Terrain bilden.

Verändert hat sich seit Stoibers Nominierung auch die Wahlkampfstrategie der Union. Nach Kohls Niederlage hatte die Merkel-CDU neue Formen der politischen Kommunikation getestet. Ihre selbstironischen und provokativen Plakate ließen sich auf die Logik der Medien ein und scheiterten nicht selten daran. Unter Stoiber geht die CDU nun andere Wege. Seinem Charisma entsprechend führt sie einen überraschend konventionellen Wahlkampf, der auf spritzige Gags verzichtet.

Stoiber verpasste der Union ein neuesProfil, ohne ihr Programm wesentlich zu verändern

Vielleicht waren es gerade die Aktionen der FDP, die bei dieser Wahl indirekt eine neue Kultur der Ernsthaftigkeit förderten. Dadurch entwickelte sich der denkbar trockene Unionsslogan „kantig, echt, erfolgreich“ zu einem der am meisten zitierten Plakattexte. Im Kontrast zur Spaßpolitik wirkte gerade er wie eine mediale Provokation. Im Unterschied zu Laurenz Meyer, Rüttgers und Möllemann riskiert Stoiber eben nicht mehr das zweischneidige Spiel mit Tabus. Damit fördert er zwar keine Diskussionen, die die Partei weiterbringen könnten, riskiert aber auch keine Rückschläge. Selbst die antikommunistische Mobilisierung hat unter Stoiber an Bedeutung verloren. Beim heutigen Parteitag wird sie beim Gedenken der Opfer des 17. Juni 1953 noch einmal in Kohls Rede hervorschimmern. Aber im Unterschied zu Kohls Wahlkämpfen konzentrieren sich Stoibers Ausführungen insgesamt recht nüchtern auf die Wirtschaftsdaten.

Stoiber hat der Union somit tatsächlich eine neue Fassade verpasst. Es ist bislang jedoch nur ein neuer Außenanstrich, der durch die große Wahlkampfdisziplin und die schlechte Wirtschaftslage besonders hell glänzt. Den Kern der Partei wollte und konnte er in dem halben Jahr sicher nicht verändern. Für die Zeit nach der Wahl bleibt für die CDU dennoch zu befürchten, dass dann die Bruchstellen im Innern der Partei hervortreten, die bisher nur notdürftig gekittet wurden. FRANK BÖSCH