In Paris sind die Kassen leer

Auf die rechte französiche Regierung kommen kniffelige Rechenaufgaben zu. Die Einkommensteuer soll gesenkt werden, der Staatshaushalt ist defizitär. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen zur Finanzierung der Ausgaben ist unpopulär

aus Paris DOROTHEA HAHN

Viel Spielraum wird die neue französische Regierung nicht haben. Im Staatshaushalt zeichnet sich ein Defizit von 40 Milliarden Euro ab. Weitere Überziehungen sind kaum möglich. Die EU-Partner haben Paris bereits signalisiert, dass sie keine Ausnahme von der Stabilitätsverpflichtung für Frankreich zulassen werden. Doch die anstehenden Entscheidungen in Paris werden teuer.

Die Rechten haben angekündigt, dass sie die Einkommensteuer senken wollen. Zwar ist keine Rede mehr von der von Staatspräsident Jacques Chirac im erst eineinhalb Monate zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf angekündigten Einkommensteuersenkung um 30 Prozent – aber 5 Prozent weniger soll es werden. Noch in diesem Herbst. Profitieren werden davor nur die Besserverdienenden. Denn die Hälfte der Beschäftigten verdient so wenig, dass sie überhaupt keine Einkommensteuer zahlen müssen.

Fest steht auch, dass die Konservativen das Polizei- und Justizbudget anheben wollen. Von einem Zusatzetat von 6 Milliarden Euro ist die Rede. Unter anderem soll damit die französische Polizei, die schon jetzt die zweithöchste Personaldichte aller EU-Länder hat, aufgestockt werden. Außerdem sollen neue Gefängnisse gebaut werden.

Anfang Juli steht die Routine-Anpassung des Mindestlohns (SMIC) an die Teuerungsrate an. Gegenwärtig liegt der SMIC knapp über 1.000 Euro. Die Pflichterhöhung wird bei 2,7 Prozent liegen. Doch die ständig steigende Zahl von Beschäftigten in allen Branchen, die zu diesem niedrigen Lohn arbeiten müssen, hoffen auf mehr. Die Gewerkschaft CGT fordert 25 Prozent Erhöhung. Die Präsidentenpartei UMP hat jedoch durchblicken lassen, dass sie nicht mehr als eine symbolische Erhöhung will.

Finanziell kommen damit kniffelige Rechenaufgaben auf die Rechten zu. Sie müssen erklären, wie sich die Einkommensteuersenkungen mit dem Anstieg der Staatsausgaben vereinbaren lassen. Denn nicht nur für die „innere Sicherheit“ will Chirac entschieden mehr ausgeben, sondern auch den Etat für das Militärische will er vielmilliardenfach aufstocken.

Angesichts sinkender Steuern sollen möglicherweise neue Privatisierungen von öffentlichen Unternehmen die Lücke finanzieren. Da dergleichen in Frankreich unpopulär ist, haben die Rechten es sorgfältig vermieden, dieses Thema im Wahlkampf anzuschneiden. Doch die Elektrizitäts- und Gaswerke stehen ganz oben auf der Verkaufsliste. Daneben figuriert auch „Air France“, das europäische Luftfahrtunternehmen, das im vergangenen Geschäftsjahr das beste finanzielle Ergebnis erwirtschaftete.

Wirklich kompliziert wird es bei der Beschäftigungspolitik. Die 35-Stunden-Woche wollen die Rechten vorsichtshalber gar nicht erst per Gesetz antasten. Sie beabsichtigen stattdessen, die Arbeitszeitverkürzung per Dekret zu entkräften. Unter anderem wollen sie zusätzliche Überstundenkontingente zulassen. Von der ursprünglichen Absicht des Gesetzes, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bleibt dann nur noch wenig übrig. Zum Jahresende läuft außerdem das ebenfalls von der rot-rosa-grünen Regierung initiierte Arbeitsbeschaffungsprogramm für hunderttausende von Jugendlichen aus. Da die meisten jugendlichen ABMler keine Festanstellungen bekommen haben, muss sich die neue Regierung etwas für sie einfallen lassen. Billig dürfte auch das nicht werden.

Die heikelste Frage ist die Rentenreform. Daran hat sich schon die letzte rechte Regierung die Finger verbrannt. Als Premierminister Alain Juppé 1995 die Lebensarbeitszeit im öffentlichen Dienst verlängern wollte, löste er die größte Streikbewegung seit Jahrzehnten aus. Sie legte das Land wochenlang lahm.

Mag sein, dass es mit jenem Streik zusammenhängt, dass die rechte Übergangsregierung von Jean-Pierre Raffarin vor ein paar Tagen durchblicken ließ, sie wolle das in der französischen Verfassung verankerte Streikrecht einschränken und einen „Mindestdienst“ einführen. Als daraufhin sämtliche Gewerkschaften gemeinsamen laut aufschrieen, verschwand das Thema sofort wieder von der Tagesordnung. Das war kurz vor dem Ende der Parlamentswahlen. Von heute an hat die Regierung freie Hand.