„Mix aus unfähig und gutgläubig“

Im Wahljahr rechnet Steuerexperte Lorenz Jarass mit der rot-grünen Finanzpolitik ab und fordert „angemessene“ Steuern für alle: Für die Armen 0, für die Reichen 45 Prozent. Und vor allem sollen die Konzerne wieder Verantwortung übernehmen

Interview HANNES KOCH

taz: Herr Professor Jarass, Sie sind derzeit überall gefragt: von der PDS über die kommunalpolitischen Spitzenverbände bis zum bayerischen Finanzministerium. Wie erklären Sie sich Ihre neue Popularität?

Lorenz Jarass: Die Parteien und Ministerien, aber auch manche Wirtschaftsverbände erkennen: Wenn die Reichen und die Konzerne immer weniger Steuern zahlen, zerstört das die Gesellschaft. Das merken auch die örtlichen Handwerker. Sie bekommen immer weniger Aufträge, weil viele Städte pleite sind.

Worin sehen Sie die größte Ungerechtigkeit des deutschen Steuersystems?

Den normalen Angestellten mit einem Bruttolohn von 1.500 bis 2.500 Euro monatlich nimmt der Staat im Durchschnitt die Hälfte weg und sogar zwei Drittel vom Weihnachtsgeld. Dagegen zahlen die großen Konzerne fast überhaupt keine Steuern.

Sie klingen wie ein Linker.

Ich bin ein konservativer niederbayerischer Katholik, der ein faires und sachgerechtes Steuersystem einführen will. Alle sollen angemessen Steuern zahlen: Die Armen nichts, Wohlhabende – so wie ich – 30 Prozent und die Reichen 45 Prozent. Wenn das links ist, bin ich gerne ein Linker.

Was sind für Sie die eklatantesten Ungerechtigkeiten?

Die Kapitalgesellschaften haben im Jahr 2001 über 20 Milliarden Euro weniger Steuern bezahlt als im Jahr 2000. Das sind pro Kopf der Bevölkerung 250 Euro. Als die Kohl-Regierung die private Vermögenssteuer 1997 aussetzte, hat sie damit die begünstigt, die etwas haben. Und sie hat die benachteiligt, die etwas tun.

Immerhin müssen die Nachkommen das Erbe versteuern.

Das fällt doch kaum ins Gewicht. Es gibt erhebliche Freibeträge, und die Besitzer großer Vermögen über 100 Millionen Euro gründen Stiftungen oder verlegen ihren Wohnsitz nach Österreich oder in die Schweiz.

Was schlagen Sie vor?

Die Regierung sollte die Vermögenssteuer schleunigst wieder in Kraft setzen, allerdings bei voller Anrechnung der bezahlten Vermögenssteuer auf die zu zahlende Einkommenssteuer. Ich will die treffen, die gar keine Steuern zahlen – dann kann ich auch die normalen Lohnempfänger und ihre Arbeitgeber entlasten.

Wie kam es, dass die Steuern, die Unternehmen bezahlen, so zurückgehen konnten?

Das war eine Mischung aus Unfähigkeit und Gutgläubigkeit. Der Fehler liegt im Bundesfinanzministerium. Bestimmte Leute machen dort eine systematische Politik der Steuerzahlung null für große Konzerne. Gott sei Dank, hat das jetzt auch die SPD-Bundestagsfraktion erkannt: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Joachim Poß hat letzte Woche meinen Vorschlag einer Mindeststeuer für Konzerne öffentlich aufgegriffen. Leider hat der von mir hoch geschätzte Finanzminister Hans Eichel diese Anregung noch nicht unterstützt.

Was war denn das Interesse der Bundesregierung, als sie derartige Steuergeschenke an die Konzerne verteilte?

Erstens ist man in den letzten Jahren irrtümlich davon ausgegangen, dass Konzerne nach drastischen Steuersenkungen mehr investieren und mehr Arbeitsplätze schaffen. Zudem wollte der zuständige Staatssekretär (der früher bei der Bayer AG zuständig für Steuern war) zu Recht verhindern, dass Konzerne wie Bayer ihre Hauptsitze ins Ausland verlagern. Doch er hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Man hätte die Steuer für den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen nicht gleich abschaffen müssen, ein verminderter Satz von 25 Prozent hätte es auch getan. Jetzt ist Deutschland Steueroase für internationale Konzerne, während der Privatmann Schwierigkeiten hat, sein Arbeitszimmer abzusetzen.