Anprangern statt natürlicher Strafe

■ Die Putzplan-Aktion der taz: Eine WG arbeitet mit X- und Y-Achsen sowie Emotionen

Wir haben einen vernünftigen als auch emotional befriedigenden Putzplan entwickelt, der auf verhaltenspsychologischer Theorie basiert. Also: Für die Sauberkeit in unserer WG in der Neustadt sind positive und negative Verstärker zuständig.

Die Rahmenbedingungen: Rund 110 schöne Quadratmeter. Außerdem stehen uns drei PflichtputzerInnen zwischen 25 und 37 Jahren zur Verfügung: eine Kunsttherapeutin, eine Studentin, ein Webdesigner. Außerdem sind da Moritz (3) und Simon (6), ein Möchte-unbedingt-auch-mal-Putzer und ein Schau-erstmal-übern-Beckenrand-Putzer. Die beiden spielen für den Putzplan jedoch eine (noch) nicht ganz so große Rolle.

Und so sieht unsere Putzplanstruktur aus: Pro Monat gibt es ein Blatt mit X- und Y-Koordinaten. Die X-Achse besteht aus Spalten: 1. Spülen und Küche fegen, 2. Küche und Klo unten putzen, 3. Bad oben und Treppe putzen, 4. Flur und Wohnzimmer saugen und putzen und 5. Treppenhaus außen putzen.

Die Y-Achse ist in Tage als auch in Wochen unterteilt. Die Tageseinteilung dient der 1. Spalte (Spülen), in welcher die Anfangsbuchstaben der drei erwachsenen MitbewohnerInnen rotieren. Also spült jede/r alle drei Tage.

Die Wocheneinteilung gilt den Spalten 2 bis 5. Hier rotieren die drei Anfangsbuchstaben der WGler im Wochenrhythmus. Also hat jede/r für die Erledigung ihrer/seiner Aufgabe eine Woche Zeit. Dadurch, dass es (ohne die Sonderspalte 5) für die aufwändigeren Putzjobs soviel Spalten wie MitbewohnerInnen gibt, hat jede/r jeweils eine putzige Aufgabe pro Woche. Noch ein Wort zur Sonderspalte 5 (Treppenhaus). Diese Spalte wird von allen nicht besonders doll beachtet, Spitzname also: die „Scheinspalte“.

Für diesen Job hat mann/frau zwei Wochen Zeit, wobei in der zweiten Woche eigentlich die Nachbarn dran sind – die wollten wir aber doch nicht in unseren Putzplan aufnehmen.

Ja, und nun zu dem absolut funktionstauglichen VPP (Verhaltens-psychologischerputzplan). Ein positiver Verstärker ist das Häkchen (siehe Grundschule 1.-4. Klasse) für jeden erledigten Dienst. Negativer Verstärker ist ein Kreuzchen (siehe Lottospielschein) für jeden nicht erledigten Dienst. Das war–s im Prinzip schon.

Vielleicht mag sich jetzt eine/r wundern, wieso ausgerechnet das der Putzplan des Jahrtausends sein soll. Wo liegt der Anreiz? Wo sind die bösen Folgen bei Versäumnis, vulgo Spülberge? Kann eine Ansammlung so ansprechend sein, dass man den Dienst nie vergisst ? Und gibt es wirklich niemanden, der sich einfach so auf Häkchenbergen ausruht? Ist ein Kreuz peinlich genug, um nie wieder zu faulenzen? Schreit es vielleicht sogar von selbst „WG-Schwein!“?

Wir antworten: Es funktioniert! Ein Kreuzchen wiegt nämlich mehr als tausende angesammelte Tassen und Teller auf unseren Schultern. Viele Häkchen lassen uns die Hände nicht nur in Spülwasser, sondern auch in Unschuld waschen. Nieder mit den natürlichen, direkt nachvollziehbaren Strafen – es lebe die intellektuelle Verschlüsselung von Schuld und Sühne! Hier sei noch auf zwei motivationsträchtige Momente hingewiesen: 1. Die Häkchen der anderen stacheln dazu an, sich auch eins zu erkämpfen. 2. Eine Kreuzchenansammlung würde wieder pre-putzplanäre Diskussionen heraufbeschwören, nur diesmal mit Beweisführung! Nach all dem drängt es uns, darauf hinzuweisen, dass wir trotzdem ganz normale Erdenbürger sind.

Es gibt Kreuze in unserem Plan. Außerdem lässt unser WG-Harmoniebedürfnis es zu, dass wenn man zu spät (so ca. um 23:59 Uhr) bemerkt, dass man dran war, bescheiden fragt: „Darf ich–s morgen früh nachholen?“ Die anderen nicken geduldig. Aber: spätestens 10:00 Uhr anderntags setzt es Kreuzchen!!! Aber: Kreuzchen werden toleriert.

Einzigartig dürfte die Erfindung der Palme sein: Sie ist unser Joker – und somit der positivste aller Verstärker. Palmen gibt–s für jede/n, der/die verreist und somit an Dienst-Tagen abwesend ist. Kurzzeitig tritt dann das Verursacherprinzip in Kraft: Wer keinen Dreck macht, muss ihn auch nicht entfernen. Die Palme entschuldigt ohne Worte, sie verhindert (Gedächt- nis-)lücken im Plan, und sie erfüllt alle Daheimgebliebenen mit stillem Glück. Für alle Daheimis sind Palmentage die Tage, an denen sie sich in front of the dirt guten Gewissens zurücklehnen und fragen können: „Ich war nicht dran, du etwa?“. Selig sind also die, die ganz allein zu Hause bleiben und nach eigenem Gutdünken spülen, putzen, fegen, saugen.

Lotte Düwell, Kristina Matthiesen, Andreas Walter

Die Putzplan-Aktion der taz geht weiter. Texte übers gemeinsame Schrubben und Wienern bitte an: taz bremen, Putzplan-Redaktion, Schlachte 1, 28195 Bremen