Kaum noch Filetier-Knowhow

■ Frischer Fisch ist auch im Norden fast nicht mehr zu haben, dafür eisgekühlter und in China filetierter Rotbarsch. Und aus Lachs und Hering werden mundgerechte Häppchen für eilige Esser. Die Fishtown-Reportage

en Rotbarsch fasst Günter Höpfner nur mit dem Haken an. Im Ackord zieht er damit die Fische glatt, so dass sie parallel in ihrer Kiste liegen und beim Weiterverarbeiten keinen Schaden erleiden. Mit der bloßen Hand wäre das zu gefährlich, denn der schöne Rotbarsch hat einen Stachel auf dem Rücken, an dem man sich leicht verletzen kann.

Höpfner steht vor einem Band in der Bremerhavener Fischauktionshalle, das die Fische nach Größe sortiert auf die Plastikwannen verteilt. Ist ein Zentner erreicht, leuchten rote Leuchtdioden. Höpfner schubst die Wannen vom Band, ein Gabelstapler stellt sie in eine Reihe mit den vielen anderen, die darauf warten, versteigert zu werden. Fast 66 Tonnen Rotbarsch sind es heute, dazu gut fünf Tonnen Steinbeißer – auch Katfisch oder Seewolf genannt – sowie 290 Kilo Stint.

Die Fische sehen so aus, als seien sie eben vom Kutter abgeladen worden. Doch der Eindruck täuscht. Zwar kommt das mit dem echten Frischfisch durchaus noch vor, aber ein großer Teil der wirklich „frischen“, das heißt auf Eis liegenden, Fische gelangt im Container nach Bremerhaven. Für Höpfner dagegen hat sich in den vergangenen 33 Jahren bloß der Arbeitsort geändert: Als Berufsanfänger musste er noch selbst in den Bauch der Kutter steigen und den Fang mit einem Haken in die Körbe ziehen. Nach zehn Jahren durfte er dann an Land arbeiten. Karriere eines Fischarbeiters.

Während in der kühlen Halle hektisch Gabelstapler umherflitzen, geht es bei der Auktion nordisch gelassen zu. Ein großes Fens-ter verbindet die Halle mit dem Auktionssaal, der auch der Pausenraum der Arbeiter sein könnte. Drei Dutzend Männer in Pullovern, Blousons und Goretex-Jacken sitzen an Stahlrohrtischen mit Plastikbelag. Sie trinken Kaffee, rauchen und heben ab und zu einen Finger, während Auktionator Bernd Ahrens schwer verständliche Bemerkungen in den Raum wirft: „Fischmarkt Hamburg: zehn“ oder „Walter: 35“, „hunderteins, zwei, drei-, vier, fünf, sechs, sieben“ – und plötzlich hat einer der Fischhändler im Saal ein paar Tonnen Fisch erstanden.

13.000 Tonnen Frischfisch werden jährlich in Bremerhaven versteigert. Sie decken 40 Prozent des Bedarfs der großen Kühlhäuser und Verarbeitungsfirmen der Stadt: „Käptn Iglo“ lässt grüßen, aber auch nicht so bekannte Firmen wie „Seefisch“ oder die „Deutsche See“, die an diesem Morgen eine ordentliche Ladung Rotbarsch ersteigert hat.

Als eine der wenigen Firmen ist die „Deutsche See“ noch in der Lage, diesen Fisch weiterzuverarbeiten. „In Deutschland gibt es kaum noch Filetier-Knowhow“, sagt Matthias Keller vom Hamburger Fisch-Informationszentrum. Wegen des Lohnniveaus sei es inzwischen lukrativ, in Bremerhaven gelandeten Fisch nach China zu verschiffen, dort filetieren zu lassen und zu reimportieren. Dafür muss der Rotbarsch zweimal eingefroren und wieder aufgetaut werden, was sich angeblich nicht auf seine Qualität auswirkt.

Dass die Auktionen, die es in Deutschland nur noch in Bremerhaven und Cuxhaven gibt, zunehmend an Bedeutung verlieren, liegt auch an dem im großen und ganzen gleichbleibenden Bedarf der Verarbeiter. Wenn bei Sturm der Fang ausbleibt, hätten sie nichts zu tun und würden ihre verwöhnte Kundschaft frustrieren. Also importieren sie ihren Rohstoff auf anderen Wegen. Der größte Teil der Fische wird tiefgeforen eingeführt. Beim Frischfisch ist der Frankfurter Flughafen inzwischen zum größten Umschlagplatz Deutschlands avanciert und macht den Häfen als Verarbeitungsplatz mächtig Konkurrenz.

„Deutschland ist ein Markt für verarbeitete Fischprodukte“, sagt Keller. Weil sich damit am meisten Geld machen lässt, setzen auch die Bremerhavener auf die Veredelung der Rohware. „Seefisch“-Geschäftsführer Jürgen Pauly ist stolz auf seinen preisgekrönten Bückling mit Kürbisfüllung. Oder das delikate Räucherlachsröllchen mit Ananas, das jüngst in Brüssel ausgezeichnet wurde. Die „Deutsche See“ bezeichnet sich neuerdings als „Fischmanufaktur“ und lässt schon mal Spitzenköche einfliegen, um die Entwicklungsabteilung zu inspirieren. Rund 30 neue Produkte kreiert die Firma pro Jahr: von der Fischpraline – „Lachswürfel mit Pastisfarce“ – bis zum Tintenfischsalat mit Saubohnen.

Bei der „Deutschen See“ gibt es auch noch eine 35 Jahre alte Filetiermaschine, die den Rotbarsch automatisch köpft, ausnimmt und in handliche Portionen zerkleinert. Ein halbes Dutzend Frauen schneiden die Ränder der Filets gerade und schaben Reste von Innereien ab. Sie arbeiten auf Leuchttischen, auf denen sich Fadenwürmer oder Fremdkörper wie Messerspitzen oder Angelhaken erkennen lassen. Die Konkurrenz von „Seefisch“ hat ihre Filetiermaschine abgebaut, „weil es zu wenige Lieferungen runder, ganzer Fische gab“, wie Geschäftsführer Pauly sagt. Sie importiert jetzt fertige Filets aus Island.

Dass es Lieferprobleme beim Rotbarsch gibt, ist kein Wunder. In einem Einkaufsratgeber, den Greenpeace unlängst herausgegeben hat, heißt es: „Alle Bestände sind drastisch überfischt, so dass die Quoten nicht annähernd ausgeschöpft wurden“. Rotbarsche wachsen langsam und werden spät geschlechtsreif. „Genau der Typ Fisch, der starker Befischung nicht standhält“, warnen die Umweltschützer.

Fisch-Promoter Keller ist das Problem der Überfischung der meisten Arten bewusst. Die deutsche Fischwirtschaft hat deshalb eine Initiative zur bestandserhaltenden Fischerei ins Leben gerufen, die von Greenpeace jedoch als nicht ausreichend kritisiert wird. In den kommenden zehn Jahren werde die Fischwirtschaft aus Eigeninteresse zu einer Fischerei übergehen, die den Bestand schone, prognostiziert Keller.

Einstweilen kann der Verbraucher auf der Verpackung ablesen, wo ein Fisch gefangen wurde. Die Makrele zum Beispiel gehört zu den wenigen Fischarten, deren Verzehr Greenpeace zufolge „akzeptabel“ ist. Lediglich in der Nordsee erholten sich die Bestände „trotz mäßiger Befischung nicht“. Kombiniere: Nordsee-Makrelen sollten gemieden werden.

„Seefisch“ verarbeitet Makrelen fast völlig automatisch: Die festen Fische werden in einer Schiene durch eine Maschine gezogen, die ihnen den Bauch aufschlitzt, die Eingeweide herausnimmt und mögliche Reste wegbläst. Am Ende fallen die Makrelen in parallel angeordnete Fächer, wo sie ein Arbeiter überprüft und ausrichtet, bevor ihnen eine lange Stange durchs Auge geschossen wird. So aufgefädelt, werden sie nochmals geduscht und kommen dann in den Rauch, bevor sie vakuumverpackt das Werk verlassen.

Die Produktion unterliegt strengen Hygienevorschriften. Selbst Besucher müssen Plastikmäntel und Haarnetze überstreifen und Tütchen über die Schuhe ziehen. Dann werden die Hände gewaschen und desinfiziert, und der Gast durchschreitet ein Desinfektionsbad. „Meine Mitarbeiter tragen täglich neue Kleidung“, versichert Heiko Dageförde, Chef der Feinkostabteilung bei der „Deutschen See“. Die Leute gehen nur in Gummistiefeln, weil so viel gewaschen wird und auf dem roten, körnigen Boden überall Wasser steht.

„Wir haben die modernsten und besten Gesetze auf dem Fischsektor weltweit“, versichert Claude Boiselle von der staatlichen Lebensmittelüberwachung in Bremerhaven. Die Unternehmen unterliegen einer Vielzahl von Vorsorge-, Kontroll- und Dokumentationspflichten. Der Weg eines Produktes soll jederzeit nachverfolgt werden können, damit nicht ein Fisch-GAU wie beim Fleisch die Branche in die Miesen stürzt.

Demnächst, so Boiselle, werde eine neue Lebensmittelhygieneverordnung, die auf alle EU-Mitgliedstaaten durchgreife, die bislang gültige Richtlinie ablösen. Der Zeitpunkt sei absehbar, zu dem Besucher nur noch hinter einer Glasscheibe der Produktion zusehen dürften, sagt Keller.

Um die Zahl der Keime im Fisch gering zu halten, werden immer größere Teile der Fischverarbeitungsbetriebe gekühlt. Der Rotbarsch zum Beispiel kommt nur zum Filetieren kurz vom Eis, um dann gleich wieder stückweise in einer eisgefüllten Styroporkiste zu landen. Schon einen Tag später kann das Filet auf irgendeinem Teller liegen. Dort darf es allerdings nicht zu lange in einem neun bis zehn Grad lauwarmen Kühlschrank liegen, sonst waren alle Bemühungen der Firma vergeblich. Gernot Knödler