Durchs Gesundheitssystem geschleust

Verordneter Seiltanz, Persönlichkeitstausch und Bier nur auf Rezept: In der interaktiven Installation „Clinic“ spielen artgenda-KünstlerInnen ärztliche Autorität

„Bier gibt‘s nur auf Rezept“, mahnt der Pfleger an der Medikamentenausgabe. „Und den Salatteller?“, fragt die Besucherin vorsichtig. „Nur für Personal“, anwortet ihr Gegenüber ruhig. Sie trollt sich in den hinteren Raum der „Clinic“, wo die „grandiose Ich-Tausch-Maschine“ aufgebaut ist: BesucherInnen können darin ihre Persönlichkeit mit einer Person ihrer Wahl tauschen. „Super“ fühlt sich eine Besucher-Patientin nach der Transformation, „aber wer spricht?“

Wer das Machtspiel Arzt und Patient in den Räumen des artgenda-Projektes mitspielt, hat seinen Spaß. Wer nicht, langweilt sich irgendwann. Der Ich-Tausch, von der Kieler KünstlerInnengruppe „Partei der extremen Mitte“ mit dem Ziel der Neuordnung der Konsensrealität angepriesen, hält nicht, was die philosophische Formel verspricht – wie könnte er auch. Dazu fehlt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Prinzip Realität.

Das Konzept der „Clinic“ ist dabei durchaus interessant: Die BesucherIn soll merken, „dass der Mensch heute kein Individuum mehr ist“, erklärt Mitinitiatorin Christine Ebeling, „dass er fremdbestimmt ist. Wir spielen mit der Situation, dass er durch das System geschleust, gegängelt wird.“ Wahres ist dran, aber hier geht es dann doch lockerer zu als in der Realität des behördenartigen Gesundheitssystems.

Da bemüht sich etwa die „Balance-Schwester“ Helena Kågemark aus Malmö rührend um den Gleichgewichtssinn ihrer PatientInnen: übt mit ihnen auf dem Drahtseil, erklärt die notwendigen Dehnübungen, führt lange Gespräche, wie eine vorbildliche Physiotherapeutin im Ballettröckchen. Und der litauische Tänzer Andrius Pulkaunikas mimt überzeugend den Psychopathen auf verschriebener Droge, bleibt aber ebenfalls zu lieb.

Fotograf Tatu Hiltunen fordert die Gäste in der Wartezone auf, einen retardierten Gesichtsausdruck aufzusetzen, um sie so zu porträtieren. Er hofft, dass „die Menschen hierbei ihren eigenen kleinen Hirnschaden erkennen“. Ob das klappt? Gegängelt würden sich die Porträtierten wohl erst fühlen, wenn sie Gefahr liefen, aufgrund der ausgestellten Porträts wirklich für schwachsinnig gehalten zu werden. So weit geht Hiltunen nicht: Seine Patienten dürfen ihr Foto als „Clinic“-Andenken mit nach Hause nehmen. Katrin Jäger

heute + Donnerstag, 17 Uhr–open end, St. Georgs-Kirchhof 1–3