bernhard pötter über Kinder
: Keine Chance für Kamerun

Warum gibt es eigentlich eine Fußballnationalmannschaft? Am Ende siegt doch ohnehin Hertha

Den ersten Streit zwischen Vater und Sohn zum Thema Fußball hatte ich mir anders vorgestellt. Etwa so: „Elfmeter? Nie im Leben war das ein Foul!“. Oder so: „Kahn der beste Torwart der Welt? Das ist doch ein Irrer!“

Aber nicht so: „Jonas, es geht los. Jetzt spielen sie die Lieder der Mannschaften. Da ist Kamerun. Und das ist Deutschland.“

„Hertha.“

„Nein, nicht Hertha, Deutschland.“

Er lachte teuflisch: „Hertha.“

„Deutschland.“

„Hertha“.

Selber schuld, dachte ich resigniert. Warum hatte ich ihn vor zwei Monaten auch mitgenommen, als mich der Kollege aus der Sportredaktion ins Stadion eingeladen hatte. Hertha gegen Rostock. Das schlechteste Spiel der Welt. 1: 0 nach 34 Sekunden und dann 89 Minuten und 26 Sekunden gar nichts mehr. Jonas hatte es trotz allem genossen: Immerhin war das Berliner Olympiastadion eine riesige Baustelle. Höhepunkte des Spiels aus Sicht eines Dreijährigen: In der 28., 63. und 78. Minute flog der Ball in die große Baugrube. Ein Ordner musste runterklettern, um ihn raufzuholen. Auch die Klos in Turnhallengröße, die grölenden Menschen in unserem Nacken, die tanzenden Werbehandys und die tänzelnden Polizeipferde hatten ihn schwer beeindruckt. Und irgendwie war der Name „Hertha“ hängen geblieben. Wenigstens waren wir nicht bei Bayern.

Aber das mit der Nationalelf hat er nicht begriffen. „Das ist nicht Hertha, Jonas. Das sind elf Deutsche, die für Deutschland spielen.“

„Warum?“ Er setzte seine schärfste Waffe ein.

„Weil die wissen wollen, welches Land das beste ist.“

„Hertha.“

„Aber Hertha ist kein Land. Das ist ein Verein.“

„Ich will Hertha sehen.“

Inzwischen führte Kamerun nach todsicheren Chancen 2:0. „Wir haben keine Chance“, sagte Jonas. Wir? Von mir hat es das nicht. Das kommt entweder von Johannes Be Kerner oder von seinem Onkel. Bei beiden sucht man automatisch nach den blauen Flecken am Schienbein, wenn sie von der deutschen Mannschaft reden. Für Jonas jedenfalls war das Spiel schon entschieden. Er stand auf und ging ins Kinderzimmer, um sich sein Holzwerkzeug so heftig gegen den Kopf zu hauen, dass das Spiel bei uns von der 32. bis zur 35. Minute unterbrochen werden musste.

„Ist doch toll, dass er mit diesem nationalistischen Quatsch der Nationalmannschaften nicht viel anfangen kann“, sagte meine internationalistische Frau. Sie ist eine von denen, die ein ganzes Flugzeug gegen sich aufbringen, weil sie den Ausgleich der Iren in der Nachspielzeit laut bejubeln. Bei Bodes 1:0 riss sie dann aber doch die Arme hoch und unsere Tochter aus dem Schlaf.

Natürlich ist es politisch völlig korrekt, gegen die Nationalmannschaft zu sein. Als Deutscher ohnehin – Hauptsache, die anderen gewinnen. Alle anderen Nationen spielen ja per se besser, eleganter, fairer, sie haben schönere Männer und tollere Tore. Und wenn das alles nichts hilft, ist es immer noch besser, die anderen toben ihren Nationalstolz bei sich aus als wir unseren hier. Rudis Jungs tun mir Leid, aber schon wegen der Kerners, Rubenbauers und Hartmanns in ihrem Team haben sie gefälligst zu verlieren.

Und was ist also besser? „Hertha“, sagt Jonas, als er von unserem Jubel über Kloses Kopfballtor ins Zimmer gelockt wird. Vereinsmannschaften? Wo die wichtigsten drei Qualitäten Geld, Geld und Geld sind? Diese transnationalen Konzerne, die mit angeblicher Bodenständigkeit im Ruhrpott oder in Lederhosen hausieren gehen, aber längst Global Players in Sachen Fußballshow geworden sind? Die Menschen als Rohmaterial aus der ganzen Welt beziehen und bald Minikameras auf dem Ball installieren werden? Diese Konzerne, die all das sind, wogegen wir mit Recht und Attac protestieren?

Also was dann? Müssen wir das heimische Holzerteam unterstützen, nur weil wir für regionale Wirtschaftskreisläufe sind? Zwingt die Forderung nach lokalen Lebensmitteln uns nicht dazu, die ortsansässige Gurkentruppe in der Regionalliga zu bejubeln?

„Hertha hat gewonnen!“, ruft Jonas, als der Schiedrichter das Spiel abpfeift. Und die afrikanische Mannschaft habe keine Chance gehabt, erklärt der Opportunist mit meinem Genmaterial. Wie so viele junge Menschen zeigt er grenzenlose Flexibilität und entspannte Haltung zu lebenswichtigen Dingen. Er nimmt das alles nicht so ernst. Ist ja nur ein Spiel. Das wird am Abend klar, als Jonas seiner Schwester erklärt, worum es in Japan und Korea geht: „Da ist Fußballwaldmeisterschaft.“

Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de