Bauarbeiterstreik, erster Tag

Rund 8.000 Beschäftigte der Baubranche legen die Arbeit nieder. Schwerpunkte sind zunächst Norddeutschland, Berlin und das Ruhrgebiet. Die Gewerkschaft will den Streik ausdehnen, wenn die Bau-Unternehmer kein neues Angebot vorlegen

aus Berlin RICHARD ROTHER

Sechs Kräne stehen still, wenn die IG BAU es will. So auch auf der Baustelle Domaquarée, mitten in der Berliner Mitte, wo gestern gar nichts mehr ging. Wo sonst direkt gegenüber dem Berliner Dom und dem ehemaligen Palast der Republik Kräne und Mischer bis in die späten Abendstunden lärmen, war den ganzen Tag nur noch der Verkehr der Großstadt zu hören. Dafür haben der Vorarbeiter Frank Striemke und seine Kollegen gesorgt.

Die Männer einer alteingesessenen Westberliner Baufirma sind extra von einer anderen Baustelle herübergekommen, um den Streik auf der zentraler gelegenen zu unterstützen. „Hier ist mehr Aufmerksamkeit“, sagt Striemke. Die Männer, es mögen vielleicht ein knappes Dutzend sein, essen am Bauzaun an der Straße Erdbeerkuchen, trillern ab und an mit ihren roten Pfeifen und schauen den vorbeiflanierenden Touristinnen hinterher.

Die Sonne brennt, und die Männer schwitzen unter den Plastiküberhängen der IG BAU, als ob sie drei Stunden Steine geschleppt hätten. Aber sie wissen, warum. Striemke: „Das Geld ist nicht das Ausschlaggebende. Wir wollen, dass überall die Tarife eingehalten werden.“ Die Bauarbeiter seien sonst immer mehr der Willkür der Unternehmer ausgeliefert. Markus Grimm, seit 1980 Maurer, pflichtet dem bei. Mit dem ersten bundesweiten Streik seit Kriegsende setze man ein Zeichen. „Auf dem Bau traut sich doch kaum noch einer, den Mund aufzumachen.“

Eigentlich müsste jede Baufirma die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge einhalten. Aber in Praxis, das wissen die Männer, gibt es unendlich viele Möglichkeiten, diese Regeln auszuhebeln, die zum Schutz vor der Billigkonkurrenz aus Ostdeutschland und dem Ausland eingeführt wurden. Ein beliebter Trick: die Bauarbeiter zwölf Stunden schuften zu lassen, aber nur acht davon zu bezahlen. Vorarbeiter Striemke: „Das kontrolliert keiner.“

Beim ersten flächendeckenden Streik in der Baubranche geht es insofern nicht nur um ein paar Prozentpunkte mehr Geld und die Angleichung der Ostlöhne an das Westniveau. Es geht zumindest symbolisch auch darum, ein Mindestmaß von Beschäftigtenrechten in einer Branche zu erhalten, in der seit der Wende der Wildwuchs extreme Ausmaße angenommen hat. Niedrigstlöhne, unbezahlte Überstunden, Zwangsurlaub bei schlechtem Wetter – alles keine Ausnahmen, vor allem in Berlin und Ostdeutschland.

So legten denn gestern nach Angaben der IG BAU auch immerhin insgesamt rund 8.000 Beschäftigte der streikungewohnten Branche auf mehr als 400 Baustellen in Berlin, Hamburg, Bremen, Magdeburg und im Ruhrgebiet die Arbeit nieder. Gewerkschaftschef Klaus Wiesehügel drohte mit einem wochenlangen Streik, falls die Unternehmer kein besseres Angebot vorlegten. „Jeden Tag, den die Arbeitgeber ungenutzt verstreichen lassen, wird der Arbeitskampf ausgeweitet“, so Wiesehügel. Ab Mittwoch sollen die Streiks auf Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Süddeutschland ausgedehnt werden. Wiesehügel sagte, er hoffe auf Sondierungsgespräche noch in dieser Woche.

Die IG Bau verlangt 4,5 Prozent mehr Lohn für die rund 950.000 Beschäftigten, die Arbeitgeber boten zuletzt 3,0 Prozent. Zudem geht es um die Angleichung der Ost- an die West-Mindestlöhne.

Die Bauarbeiter am Berliner Domaquarée haben zunächst andere Sorgen. Sollten wirklich Streikbrecher auftauchen, wollen sie eine Kette bilden und sich in den Weg stellen. „Aber es traut sich hoffentlich keiner zu kommen“, meint Vorarbeiter Striemke. „Und wenn schon, dann gibt es einfach was mit der Kelle“, antwortet ein anderer. „So etwas sagt man nicht“, erwidert der Vorarbeiter. „Doch, ich bin Bauarbeiter, ich darf das“, sagt der Mann und dreht sich Richtung Bauzaun. Daran hängt eine Werbung des Domaquarées: „Tauch ein ins Leben.“