Merkel verschluckt sich fast an Rot-Grün

CDU-Parteichefin versucht eher tapfer als inspirierend, dem Parteitag Inhalt zu geben. Bejubelt wird sie trotzdem

FRANKFURT/M taz ■ Geht es nach dem Protokoll, ist Angelika Merkel die wichtigste Rednerin auf dem CDU-Parteitag – immerhin ist sie die Bundesvorsitzende. Tatsächlich hat sie an diesem Montag eher einen Sandwichauftritt – eingeklemmt zwischen Helmut Kohl, der vor ihr spricht, und Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, der am folgenden Tag der Star ist. Am vielsagendsten ist da der Applaus der rund 1.000 Delegierten, der weit hymnischer ausfiel, als es sich mit Merkels eher weitschweifiger Rede erklären lässt.

Die Sympathie der CDU-Basis für die Ostdeutsche hat bereits Tradition, doch was sich wandelt, sind die Gründe dafür. Beim Dresdner CDU-Parteitag im Herbst wollten die Delegierten sie noch in der Konkurrenz zu Stoiber stärken. Diesmal mischen sich im Beifall Dank und Erleichterung, weil Merkel den CSU-Chef inzwischen bis an die Grenze der Selbstverleugnung unterstützt – und damit der Union den weithin befürchteten Hickhack im Wahlkampf erspart.

Ihres Sieges sicher sind sich CDU und CSU trotz eines soliden Vorsprungs in den Umfragen allerdings noch nicht. Die rot-grüne Regierung zu ignorieren – das will Merkel sich nicht leisten. Stattdessen schlägt sie ausgiebig auf die regierende Koalition ein. So gebe Gerhard Schröder stets anderen die Schuld für eigenes Versagen, erst Helmut Kohl, dann der Weltwirtschaft, und wenn er irgendwann UN-Generalsekretär werden sollte, „sind eines Tages außergalaktische Individuen schuld“.

Erste Anklänge eines populistischen Wahlkampfs sind beim Thema Zuwanderung zu hören. „Natürlich wird die Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung ein Thema im Wahlkampf sein“, kündigt Merkel an, „davor kann sich Rot-Grün so viel fürchten, wie es will.“ Gleichzeitig grenzt die Vorsitzende ihre Partei gegen einen Populismus nach Art der FDP ab. Für die Union könne es „keinen leichtfertigen Umgang mit den Empfindungen der Juden in Deutschland und Israel geben – und schon gar keine antisemitischen Untertöne.“

Merkel bemüht sich spürbar, dem Vorwurf entgegenzutreten, der zweitägige CDU-Parteitag sei eine inhaltsleere Jubelveranstaltung. Mehr tapfer als inspirierend referiert sie das CDU-Wahlprogramm: Abschaffung der Ökosteuer, Einführung eines Familiengeldes, Abschaffung des Gesetzes über Scheinselbstständigkeit. Zu einem Machtwort im aktuellen Reformstreit in der CDU rafft sich die Vorsitzende allerdings nicht auf: Ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble will, dass ein Stoiber-Kabinett nach der Bundestagswahl auf schnelle und grundlegende Reformen setzt – die CDU-Landeschefs Christian Wulff und Roland Koch warnen vor den Folgen für die Landtagswahlen 2003.

Hessens Ministerpräsident Koch hat Merkel zuvor auf offener Bühne Erdbeeren überreicht: Aus der Erdbeere könne man das Grünzeug leicht rausziehen und dann mit großen Bissen genussvoll dafür sorgen, dass das Rote verschwindet. Als die CDU-Chefin am Ende ihrer Rede symbolträchtig in eine Erdbeere beißt, verschluckt sie sich fast. Der Parteitag jubelt trotzdem.

PATRIK SCHWARZ