Der müde Abgang des Exkanzlers

Helmut Kohl trat gestern nach zwei Jahren zum ersten Mal wieder vor der Bundespartei auf. Der 15. Bundesparteitag der CDU begann in Frankfurt am Main mit einer Rede des luxemburgischen Premierministers und Erdbeeren von Koch für Merkel

au Frankfurt HEIDE PLATEN

Er ist wieder da, schwer und schlachtrossig in der ersten Reihe. Exbundeskanzler Helmut Kohl trat gestern zum 15. Parteitag der CDU in Frankfurt am Main zum ersten Mal seit der Spendenaffäre wieder als Redner vor der Bundespartei auf.

Früh war er in die Messehalle gekommen, hatte so jovial gegrüßt, als sei er noch Ehrenmitglied. Und hatte sich schnell auf seinen kleinen Klappstuhl fallen lassen, schon rot im Gesicht, als der hessische Ministerpräsident Roland Koch zu Beginn „einen heißen Parteitag“ ankündigte. Über 30 Grad ist es draußen, und drinnen steht die Luft schwül und stickig. Die Herren auf dem Podium, selbst der sonst so steife baden-württembergische Kollege Erwin Teufel, haben abgelegt. Die Delegierten schwitzen in Hemdsärmeln.

Kohl, ganz der Übervater auf dem Altenteil, behält das Jackett eisern an, reibt die Handflächen unter dem Tisch an den Knien der Anzughose ab. Klatschen, scheint es, ist ihm zu viel der körperlichen Anstrengung. Als Koch die Parteivorsitzende Angela Merkel mit etlichen Körben voller „wirklich guter Krifteler Erdbeeren“ aus der Region beschenkt, vergisst er das Klatschen gleich ganz. Das benachbarte Parteivolk blickt konsterniert. Kohl schreckt hoch und haut die großen Hände genau dreimal wie abgezirkelt ineinander – als wolle er Schinken klopfen. In Großaufnahme gleich darauf auf der Videowand wirkt er so, als applaudiere er sich selbst.

Und dann schreitet er zum Rednerpult, und alles ist zuerst so, als sei er nie weggewesen. Die Stirn ist voll der signifikanten Kreuz- und Querfalten, die massigen Wangen zittern. Er sagt immer noch so oft und so pfälzisch und bedeutungsschwanger „Gechichte“. Und sein Koredner, der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, wird zum „Dschong-Clood“.

Nur: Das milde, selbstzufriedene Lächeln des Staatsmannes samt dazugehöriger Rhetorik will ihm nicht mehr so gelingen wie früher. Kohl wirkt müde, keine Bräsigkeit, die Mundwinkel bleiben auch beim Beifall unten, die Stimme ist leiser, fast sanft geworden. Auch bei seinen Leib- und Magenthemen fehlt die Leidenschaft aus besseren Zeiten. Kohl referiert abgeklärt über den 17. Juni 1953, Arbeiteraufstand in Berlin, Tag der Deutschen Einheit, Wiedervereinigung. Auch das Geißeln gerät ihm moderat. Eigentlicher Gegner ist die PDS „in direkter Nachfolge der SED“ geblieben, Rot-Rot in Berlin aber der Sündefall der Sozialdemokraten: „Gerhard Schröder hat diesen Konsens der Demokraten aufgekündigt. Das ist ein Verrat an unserer Geschichte.“

Und schließlich die Wiedervereinigung mit den „glücklichsten Tagen in der Geschichte unseres Volkes“ – nein, Helmut Kohl lobt sich heuer nicht mehr selbst dafür, sieht aber auch heute noch in den neuen Bundesländern seine „blühenden Landschaften“ und schwenkt umgehend auf sein Projekt Europa ein. Dies sei – einzige Anspielung auf das Zerwürfnis mit den Seinen – von „Enttäuschungen“, auch mit „Kleinmütigkeit und Ängstlichkeit in den eigenen Reihen“ begleitet worden. Altgewohnt milde lächelt er dann doch noch, als es um den Euro geht, dessen Einführung die europäische Einheit „unumkehrbar“ gemacht habe. Kohl empfiehlt den Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber als „verantwortungsbewusst und klug“, schließt seinen Vortrag so verhalten, wie er ihn begonnen hat, und kündigt an: „Ich werde nach 44 Jahren aus der parlamentarischen Arbeit ausscheiden.“

Kein strahlender, ein stiller Abgang. Den Beifallsmarathon für Merkel eine gute Stunde später steht er diszipliniert aus, diesmal mit einem Lächeln, das ihm wie festgefroren im Gesicht sitzt.