Ehre dem Rechtsbrecher

Dr. Helmut Kohl kehrt in die Arme seiner Partei zurück und verliert kein Wort über seinen Verfassungsbruch. Rührende Einheit zwischen dem Exvorsitzenden und seiner Nachfolgerin

FRANKFURT/M. taz ■ Zum ersten Mal seit 1999 hat Exbundeskanzler Helmut Kohl gestern Vormittag wieder eine Rede vor der Bundes-CDU gehalten. Kohl beschränkte sich dabei auf einen getragenen, gleichwohl mit markigen Sprüchen versehenen Exkurs durch die Geschichte Deutschlands seit dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in Berlin bis hin zur Wiedervereinigung und zur Einführung des Euro. Der SPD, namentlich Bundeskanzler Gerhard Schröder, warf er vor, wegen der Koalition mit der PDS den „Konsens der Demokraten“ aufgekündigt zu haben. „Das ist ein Verrat an unserer Geschichte, wenn die SPD jetzt die PDS hofiert, als habe es Mauer und Stacheldraht nicht gegeben“, sagte Kohl. Er drängte auf eine schnelle Osterweiterung der Europäischen Union: „Es darf keine Zeit verloren werden.“ Er empfahl Edmund Stoiber (CSU) als „hervorragenden Kanzlerkandidaten“ und sah für die Union gute Chancen für einen Sieg bei der Bundestagswahl am 22. September, „wenn wir wollen“ und „gemeinsam um jede Stimme kämpfen“. Kohl erwähnte weder seine Mitverantwortung für die Spendenaffäre, noch ging er sonst auf die eigene jüngere Vergangenheit, seine Entmachtung in der Partei und seine verlorene Ehrenmitgliedschaft ein. Zum Ende seiner Rede kündigte er fast resignativ, aber sichtlich gerührt seinen Rückzug aus der parlamentarischen Arbeit „nach 44 Jahren“ an. „Ich danke allen herzlich, die mir in diesen Jahrzehnten Vertrauen entgegengebracht und mir geholfen haben“, sagte er mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen. Der Beifall der rund tausend Delegierten des 15. Bundesparteitages in Frankfurt am Main geriet zu einer Ehrenbezeugung. Mehrere Delegierte, unter ihnen der Verfassungsexperte Rupert Scholz, forderten anschließend, Kohl wieder den Ehrenvorsitz der Partei anzutragen.

Der zweitägige Parteitag hatte am Morgen mit einem ökumenischen Gottesdienst im Frankfurter Dom begonnen. In den gemeinsamen Fürbitten, unter anderem gesprochen vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, klang gestern zum einzigen Mal – und eher ungewollt – der Schwarzgeldskandal der Christdemokraten an: „Schenke uns Mut, in allen Auseinandersetzungen bei der Wahrheit zu bleiben.“ Als Gastredner warnte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, vor einer Koalition mit der FDP unter Beteiligung von Möllemann. Damit würde der Antisemitismus wieder als Teil der offiziellen deutschen Politik möglich, sagte Spiegel.  HEIDE PLATEN

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