Italien und das Tor zur Hölle

Südkorea biegt ein fast verlorenes Match noch um und wirft durch ein spätes Ausgleichstor sowie das Golden Goal von Volksheld Ahn mit Italien einen weiteren WM-Favoriten im Achtelfinale raus

aus Daejeon RALF ITZEL

Jung-Hwan Ahn schien ins Koma gefallen, der Goldjunge nahm gar nicht wahr, wer ihn herzte, drückte, umarmte. Er selbst konnte wohl am wenigsten fassen, was passiert war. Zu Spielbeginn hatte er einen Elfmeter verschossen, und nun war es sein Kopfballtreffer, der seine Landsleute in einen nie da gewesenen Taumel des Glücks versetzte. Es ist tatsächlich wahr, Südkorea hat Italien aus dem Turnier geworfen durch Ahns goldenes Tor in der Verlängerung (117.) und steht im Viertelfinale.

Die WM der Sensationen geht weiter. Nächster Gegner am Samstag in Gwangju ist die spanische Auswahl, und der Sprung des Gastgebers ins Halbfinale kann nicht mehr ausgeschlossen werden nach den Ereignissen von gestern Abend. Raketen gingen hoch über Daejeon, als sich Ahn allmählich wieder aufrappelte. „Es ist einmalig, was meine Spieler geleistet haben“, sagte unterdessen sein Trainer Gus Hiddink, und Stürmer Cha Du Ri, der Sohn des früheren Bundesligaprofis Cha Bun Kun, antwortete auf jede Frage dasselbe: „Es ist ein Traum, unglaublich.“ Für die Italiener war es ein Alptraum, wie im Finale der Europameisterschaft gegen Frankreich verspielten sie den Sieg in letzter Minute.

„Das WM-Stadion Daejeon begrüßt die Besucher mit einer Wärme wie im Vorhof traditioneller koreanischer Häuser“, heißt es in einer Touristik-Broschüre über den Tatort des Dramas, aber das war glatt gelogen, denn gestern firmierte die Arena im Herzen Koreas als „Tor zur Hölle“, wie auf einem der roten Plakate zwischen den 40.000 rot gekleideten Menschen stand, oder auch als „Grab der Azzurri“. Das schienen sich die Totgesagten anfangs selbst zu schaufeln: Nach vier Minuten riss Panucci Angreifer Seol am Trikot, was Schiedsrichter Moreno mit Elfmeter ahndete. Doch wie im Gruppenspiel gegen die USA vergeudeten die Koreaner den Strafstoß, diesmal durch Ahn, der an Buffon scheiterte. Christian Vieri ist da abgebrühter, nach 18 Minuten wuchtete er einen Eckball vom kurzen Pfosten zum 1:0 in die Maschen. Der Räuber Hotzenplotz des Fußballs hatte sich kurz zuvor durch einen fiesen Ellbogencheck gegen Kim Respekt ergaunert.

Die Koreaner kamen aber auch mit der neuen Situation des Rückstands gut klar, in der zweiten Halbzeit kämpften sie sogar noch leidenschaftlicher gegen die drohende Niederlage an. Den Lohn der Mühen überbrachte zwei Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit Panucci, der zum zweitenmal patzte. Er fiel im Strafraum hin und der Ball Seol vor die Füße. Sein erfolgreicher Torschuss brachte Korea den Ausgleich und die psychologische Führung. Die letzten Sekunden der regulären Spielzeit waren dramatisch, und in der Verlängerung rannten die Koreaner weiter an, als hätte ihnen Hiddink einen Zaubertrank eingeflößt, während die Italiener in den Seilen hingen. Als Totti für eine Schwalbe die zweite gelbe Karte sah (103.) ging es vor allem darum, sich ins Elfmeterschießen zu retten. Es reichte nicht.

Die Südkoreaner haben mit dem 2:1-Sieg auch Nordkoreas Coup von der WM 1966 nachgeahmt. Damals flogen die so genannten Roten Moskitos in Middlesbrough zu einem 1:0-Sieg, der ihnen das Viertelfinale brachte, und den Italienern einen Empfang mit Tomatenwürfen bei der verfrühten Ankunft in Rom. In Korea geht die Party weiter. Rund vier Millionen Menschen sollen es gestern gewesen sein, die auf den öffentlichen Plätzen, in den Parks und Baseballstadien mit den Leinwänden feierten. Am Samstag dürfte der Rekord erneut gebrochen werden.

Die Mannschaft wird gut vorbereitet in das Duell mit Spanien gehen. Guus Hiddink muss etwas geahnt haben. Am Sonntag ließ er das Training sausen und fuhr lieber nach Jeonju zur Partie Spanien–Irland, um den Viertelfinalgegner unter die Lupe zu nehmen.

Südkorea: Jae-Woon Lee - Jin-Cheul Choi, Hong (83. Cha), Tae-Young Kim (62. Hwang) - Song, Nam-Il Kim (68. Chun-Soo Lee), Young-Pyo Lee, Yoo - Park, Ahn, Seol Italien: Buffon - Panucci, Iuliano, Maldini, Coco - Zambrotta (72. di Livio), Zanetti, Tommasi - Totti, Del Piero (61. Gattuso) - Vieri Schiedsrichter: Moreno (Ecuador)Tore: 0:1 Vieri (18.), 1:1 Seol (88.), 2:1 Ahn (116./Golden Goal)Gelb-Rote Karte: Totti (103.)