Bombenanschlag vor Bush-Rede

Trotz Höchstalarm konnte das Polizeiaufgebot das schlimmste Attentat in Jerusalem seit sechs Jahren nicht verhindern. Palästinenser verurteilen den Terrorakt. Washington rügt Israel für die unilaterale Errichtung einer Trennanlage

aus Jerusalem ANNE PONGER

Der Anschlagsort bot ein Bild der Verwüstung. Von dem voll besetzten Linienbus war nur noch das verbrannte Gerippe übrig, Leichenteile lagen in weitem Umkreis verstreut, durch den Explosionsdruck beschädigte Autos, die vor und hinter dem Bus gefahren waren, standen auf der Fahrbahn, panische Menschen rannten umher.

Seit Montag hatte es in Jerusalem erhöhten Terroralarm gegeben und Gerüchte über fünf potenzielle Selbstmordattentäter, die sich in Israel aufhalten sollten. Bereits in der Nacht zum Dienstag waren tausende Polizisten in allen Stadtteilen im Sondereinsatz, kontrollierten Übergänge von Ost- nach Westjerusalem und errichteten provisorische Straßensperren.

Am Vortag hatten israelische Spezialtruppen den 29-jährigen Walid Sbeh, ein führendes Mitglied der Fatah-nahen Tansim-Milizen, in dem Dorf al-Chader bei Bethlehem exekutiert. Die Fatah drohte mit „schmerzhafter Rache“. In einer Mitteilung an Nachrichtenagenturen übernahm jedoch am Mittag die radikale islamische Bewegung Hamas die Verantwortung für den Anschlag. Auf palästinensischer Seite wurde der Attentäter als Mohammed al-Ghul, ein Studenten und bekannter Hamas-Anhänger aus einem Flüchtlingslager bei Nablus, identifiziert.

„Die höchste Alarmstufe wird aufrechterhalten“, betonte Jerusalems Polizeikommandant Miki Levy. „Wir fürchten, dass weitere Terroristen auf dem Weg in die Hauptstadt sind.“ Überall in Jerusalem wurde am Dienstag die Suche nach Verdächtigen fortgesetzt.

„Von welchem Palästinenserstaat soll denn die Rede sein?“, rief Ministerpräsident Ariel Scharon, der zum ersten Mal unmittelbar nach einem Anschlag an den Ort des Geschehens kam, sichtlich erschüttert über den Anblick der in Plastiksäcken liegenden Todesopfer. „Die Palästinenser kennen nur Terror, und den werden wir mit allen Mitteln bekämpfen.“

Die Autonomiebehörde verurteilte den Anschlag umgehend. Der palästinensische Minister Saeb Erekat beschuldigte die Israelis in einem CNN-Interview der Mitverantwortung, da sie die Palästinensergebiete und die Übergänge kontrollierten.

Oppositionsführer Jossi Sarid von der linken Meretz sieht in dem erneuten Anschlag den Beweis dafür, dass die Militäroperation „Schutzwall“ ihr Ziel nicht erreicht habe. Sarid verurteilte den Mangel an politischen Initiativen und forderte einen sofortigen Einsatz von internationalen Truppen in den Palästinensergebieten.

Rechte Koalitionsmitglieder forderten erneut die Ausweisung von Palästinenserführer Jasser Arafat. Der Abgeordnete Michael Kleiner rief gar dazu auf, „für jeden ermordeten Juden tausend Palästinenser zu liquidieren“.

Der Anschlag ereignete sich im Vorfeld der von beiden Seiten mit Spannung erwarteten Rede von US-Präsident George W. Bush am Mittwoch, in der er zu diplomatischen Schritten zur Wiederbelebung des Friedensprozesses Stellung nehmen will. Am Montag hatte der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher, Israel für die unilaterale Errichtung der Trennanlagen gemaßregelt, die am Sonntag begann. „Wenn dies ein Versuch zur eigenmächtigen Grenzziehung sein soll, betonen wir, dass wir ausgehandelte Grenzen vorziehen“, sagte er. „Wir erinnern Israel daran, dass Sicherheit und Frieden eher erzielt werden, wenn den Palästinensern Hoffnung auf ein passables Leben und ein Ende von Barrieren gegeben wird.“

In Jerusalem wird befürchtet, dass Bush die baldige Ausrufung eines „temporären Palästinenserstaates“ erwägt. Scharon hatte das vorherige Ende palästinensischer Gewalt zur Bedingung gemacht. Der jüngste Anschlag dürfte die Scharon-Regierung in ihrer Ablehnung politischer Konzessionen weiter bestärken.