stoibers rede
: Wie Kraut und Rüben

Wahlparteitage dienen nun mal der Selbstfeier und der Autosuggestion. Auch Stoibers gestrige Rede auf dem CDU-Parteitag folgte dem bewährten Regiemodell, die eigenen Reihen als geschlossen, den Kandidaten und seine Mannschaft als kompetent und voller Tatendrang, den Gegner hingegen als Loser darzustellen, der nach vier Jahren Misswirtschaft das Recht auf eine „zweite Chance“ verwirkt hat. Stoiber schaffte dieses rhetorische Pensum mit überraschendem Elan. Aber seine Donnerworte werden außerhalb des Frankfurter Messegeländes kaum auf Widerhall treffen. Denn all der Aufbruchsstimmung der Delegierten zum Trotz ist in Deutschland drei Monaten vor den Wahlen kaum etwas von dem Überdruss spürbar, der Helmut Kohl 1998 aus dem Amt geschwemmt hat. Mag Stoiber über Deutschland als Schlusslicht jammern, mag er noch so selbstbewusst versichern, mit ihm würden alle Wachstumshemmnisse fallen – das Publikum nimmt’s achselzuckend hin. Und trotz des Vorsprungs bei den Umfragen ist von einer Wechselstimmung wenig zu spüren.

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Dass Stoibers Rede so wenig zur Mobilisierung des Wahlvolks beitragen wird, liegt vor allem daran, dass der Kandidat – anders als sein Ziehvater Franz Josef Strauß im Wahljahr 1980 – sich der Polarisierung entzieht und dass er sich in seiner Programmatik der politisch amorphen Schwesterpartei CDU anverwandelt hat. Was er gestern als erste Maßnahme an seiner Hauptkampffront, der Ökonomie, bekannt gab, hat nichts von der Signatur des „Aufwärts“: Aussetzung der nächsten Stufe der Ökosteuer, Wiederauflage der 630er-Jobs (400 Euro brutto für netto), Entbürokratisierung der Riester-Rente. Und das Versprechen einer neuen Steuerreform 2004. Und die dreimal „unter 40“ (Spitzensteuersatz, Staatsquote und Sozialbeiträge) – hat das nicht auch zu Schröders Credo gehört?

Alle Schroffheit der Abrechnung in Stoibers Rede konnte nicht verdecken, dass er im Namen der christlichen Volkspartei widerstrebende Interessen zusammenzwängen muss. Er will gleichzeitig Lasten auf die Bürger abwälzen, sie dabei aber nicht überfordern. Er wettert gegen die steuerliche Bevorzugung des großen Kapitals, das er gleichzeitig entlasten möchte. Die sexuelle Orientierung erklärt er zur Privatsache, hält aber eisern an der grundgesetzlichen Privilegierung der Ehe fest. Allmählich gleicht der Kanzlerkandidat einem der manierierten Köpfe Arcimboldos, wo Kraut und Rüben sich harmonisch vereinen.