Wenn der Kamera mulmig wird

Klug und aufwändig in Szene gesetzte Begegnungen an türkisch-kurdischen Fronten: „Fotograf“ – am Freitag zum Filmstart im Metropolis präsentiert von Regisseur Kazim Öz und Hauptdarsteller Feyyaz Duman

Vom Busfenster aus beobachtet der junge Mann den Abschied eines Paares. Es sitzt am Zaun der nahen Fähranlegestelle. Sie schenkt ihm eine Armbanduhr, er steckt ihr mit dem letzten Händedruck einen Brief zu. Nach Abschied für immer sieht das nicht aus, im Rücken der beiden, über dem Bosporus, steht leuchtend die Nachmittagssonne in Kazim Öz‘ Fotograf.

Auf dem Busbahnhof werfen derweil einige Burschen ungestüm ihren Kumpel in die Luft, der muss den Militärdienst in der Provinz antreten und seine Rückkehr wird schon jetzt gefeiert. Der Mann mit der Armbanduhr setzt sich neben den Beobachter, sie tauschen ein paar Höflichkeiten und Floskeln aus. Männergespräche, vielleicht schon eine Spur zu bitter für dieses Alter. Dann startet der Bus.

Es wird eine lange Nachtfahrt und unbequem. Die Reisebekannten rauchen, das Feuerzeug des Jüngeren spielt beim Zünden „Für Elise“. In der Autobahnraststätte läuft die Glotze. Türkische Militärs prahlen da von 24.000 Terroristen, die sie bereits eingekesselt hätten an der Grenze zum Irak, nun müsse Blut fließen. Es folgen Bilder von Erschossenen, von Soldaten, die auf Demonstranten einprügeln, der Kommentator spricht von Krieg. Auf der Weiterfahrt wird der Kamera allmählich mulmig, sie weicht torkelnd entgegenkommenden Fahrzeugen aus. Dräuende Blechblasklänge lassen den Betrachter endgültig die Unbedarftheit des vermeintlichen Roadmovies bezweifeln. Immer häufiger behindern Armeekonvois die Reise. Die Straße wird schlechter und schlechter. Wir sind in Kurdistan, Türkei.

In irgendeinem Nest steigt der jüngere Mann aus. Sein Feuerzeug vergisst er im Bus, der andere nimmt es an sich und setzt die Fahrt ins Gebirge fort. Mittels zweier aufwändiger und kluger Kameraoperationen setzt Fotograf den Ausgang – und die Moral – dieser Zufallsbegegnung in Szene. Der jüngere Mann kommt in einem türkischem Militärcamp an als letzter einer langen Reihe; vor ihm Nackte, Vermessene, Nummerierte, die eine gemauerte Baracke betreten. Die Kamera fährt mit steigendem Tempo die Außenwand ab und nimmt an deren Ende die Bewegung eines Soldaten in Camouflage auf, der eine Zielscheibe anpinnt: Die Kontur eines Kopfes im Araberschal; wo das Gesicht sein müsste, nur weiße Leere.

Auch die Kontur des älteren Mannes kann man noch einmal erahnen. Ein Kommando kurdischer Unabhängigkeitskämpfer wandert nächtens über einen Gletscher, sie müssen rasten, die Kamera dreht sich über ihr Lager hinweg zum Tal, in die Off-Musik mischen sich Schreie und Salven, die Kamerabewegung folgt Geschützqualm, der langsam über das Schneefeld zieht. Die Blende geht auf, es wird Tag, dort, wo die Kurden lagerten, wühlen nun türkische Soldaten in blutigen Kleidungstücken. Einer findet sein Feuerzeug wieder, beim Zünden erklingt Mozart.

Der Mutter seines kurdischen Reisegenossen kann der junge Soldat nur noch ein Bild schicken. Seine Kameraden fotografieren sich gern vor der Beute: Die Momentaufnahme einer starren und sinnlosen Brutalität.

Urs Richter

in Anwesenheit von Kazim Öz und Feyyaz Duman: Fr, 19 Uhr, Metropolis, weitere Termine siehe Programm