Dynamisch und flexibel

Die in Finanzschwierigkeiten steckende Netcenter AG sucht per Inserat Angestellte. Dabei stehen immer noch mehrere Lohnzahlungen aus, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Unterschlagung

„Wir würden die Leute nicht arbeiten lassen, wenn wir sie nicht bezahlen könnten“

„Wanted – Outbound-Profi“ steht über den zweispaltigen Anzeigen, mit denen die Netcenter AG seit Wochen „Call Center Agenten“ mit „Einsatzbereitschaft und Teamgeist“ für ihr „dynamisches Team“ sucht. „Flexibel“ und „dynamisch“ müssen die neuen TelefonistInnen des „zukunfts- und wachstumsorientierten Unternehmens“ tatsächlich sein, wenn sie bei Netcenter einsteigen wollen. Denn: Seit Monaten zahlt die Netcenter AG ihren Mitarbeitern nur noch sehr schleppend Löhne – wenn überhaupt.

Auf das Mai-Gehalt mussten alle noch gut 60 Mitarbeiter der Firma warten. Auch März-Zahlungen stehen noch aus. Ehemalige Mitarbeiter warten seit Wochen auf Arbeitspapiere, Netcenter soll vermögenswirksame Leistungen der Mitarbeiter zwar vom Lohn abgezogen, nicht aber überwiesen haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „Vorenthalt und Unterschlagung von Arbeitsentgelt.“ Viele aus der Belegschaft nennen die Firma nur noch „Neppcenter“.

„Unverschämtheit, dass sie neue Leute suchen, obwohl die alten noch gar nicht bezahlt haben“, sagt eine Ex-Mitarbeiterin, der Netcenter noch 12.000 Mark schuldet. „Die Lage ist äußerst problematisch“, betont auch Kornelia Knieper von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ihr sind mittlerweile 20 Mitarbeiter bekannt, die immer noch auf Geld warten. Dabei hatte Netcenter-Chef Marc Dörre der Belegschaft Mitte Mai versprochen, alle ausstehenden Gehälter würden „umgehend“ bezahlt. „Tatsächlich bekamen wir aber nur einen Verrechnungsscheck, den wir erst am folgenden Tag einlösen durften“, erzählt ein Ex-Netcenteraner. Kollegen hätten echte Probleme bekommen, auch nur die nötigsten Nahrungsmittel zu kaufen. Andere hätten ihre Miete nicht zahlen können.

Im Ärger von Dörre getrennt haben sich viele – wenn sie nicht gefeuert wurden. Aber auch die Ehemaligen wollen lieber anonym bleiben: Viele liegen im Rechtsstreit mit der Netcenter AG. Die Gewerkschafterin Knieper, die schon eine Demonstration vor der Firma in der Vahr veranstaltete, ist schüchterner geworden, seitdem Dörre ihr „geschäftsschädigendes Verhalten“ vorwirft. Aber auch sie sagt klipp und klar, was sie von seinem Geschäftsgebaren hält: „Dörre hat gelogen.“

Dörre steckt in der Klemme. Spätestens, seitdem die Kirch-Firma „Premiere“ ihren Auftrag storniert hat, steckt Netcenter in der Krise. Im vergangenen Jahr setzte das Call Center mit 120 Mitarbeitern noch rund drei Millionen Euro um. Dieses Jahr wird es wohl Bremsspuren in der Bilanz geben. Viele sagen, Dörre habe sich beim Kauf der „Proficall“ im vergangenen Jahr heftig verschluckt. Aber viele sagen auch: „Welche Firma steckt zur Zeit nicht in der Bredouille?“

„Es geht langsam wieder aufwärts“, verkündet indes Jan Potthoff. Dörres Assistent vertritt seinen Chef „bis kommenden Montag.“ Untergetaucht sei er aber nicht, betont Potthoff.

Und tatsächlich seien in den vergangenen Wochen etwa zehn neue TelefonistInnen neu eingestellt worden, „weitere rund 20 bis 30 suchen wir noch“. Bislang war sogar von 100 neuen Jobs die Rede gewesen.

Ein neuer Kunde, ein Vertreiber von EC-Kartenlesegeräten, sei gewonnen worden, bestätigt Potthoff. Dafür müssten neue Angestellte her. Einen Widerspruch zwischen neuen Jobs und noch ausstehenden Zahlungen sieht der Netcenter-Mann nicht: „Wir würden die Leute nicht hier arbeiten lassen, wenn wir sie nicht bezahlen könnten.“ Und: „Wir berücksichtigen die Ansprüche unserer Mitarbeiter.“

Angeblich will sein Chef einen Investor an Land gezogen haben, der die Firma retten soll: Ulrich Nölle, den Bremer Ex-Finanzsenator (CDU). Aber: Das verkündet Dörre bereits seit Wochen. „Nölle will investieren“, versichert auch Potthoff. Anfang Juli werde man mehr wissen. Der Termin für die Bekanntgabe der Pläne ist bereits mehrfach verschoben worden.

Kai Schöneberg