fernöstlicher diwan
: Über eine Weltmeisterschaft in Pillenform

Golfen mit Grauhaarigen

Einmal hat es geklappt. Dienstag vor einer Woche, unten im italienischen Lokal im Erdgeschoss, beim 2:0 von Deutschland gegen Kamerun. Ansonsten ist die WM bisher komplett an mir vorbeigegangen. Die Ergebnisse kenne ich aus den Tickermeldungen, die Zusammenfassungen der Spiele laufen abends auf Sat.1 nebenbei mit, meist ohne Ton, weil „You make me feel brand new“ von den Stylistics auf Platte viel ekstatischer ist als das live geharnischte Kommenatorenbayrisch von Joseph Breitner oder Blatter oder wie der grauhaarige Stenz im Lodenjackett heißt, der immer von „unseren Jungs“ und von „wir“ redet, wo er doch die deutsche Nationalmannschaft meint.

HARALD FRICKES WMMein Spieler: durfte bereits nach Hause fahren.Mein Team: hat verloren.Mein Weltmeister: ist auch schon egal.

Auch ist es keine Freude, jeden Abend eine Reportage über Oliver Kahn zu sehen, der den einen Tag golft und den anderen Tag wieder golft, weil er sich entspannen muss zwischen den Spielen, und Breitner gibt danach schwergewichtig zu bedenken, dass Golf gar nicht entspannt, wenn man ehrgeizig ist, und dass doch eigentlich jeder Golfspieler, den er kennt, ehrgeizig ist – und er kennt viele, ganz Bayern ist schließlich ein Parcours aus lauter Löchern. Aber „unser Olli“, der verkraftet das schon, der ist ja locker und cool, auch mit einem Dutzend Golfbällen in der Hosentasche steht er saulässig da wie ein Aluminiumpfosten. Das ist das Lion-Feeling, dafür hat er sich trapezförmige Koteletten wachsen lassen, superhip, wow und yeah.

Derweil sieht man in einer Großaufnahme das verkniffene, ehrgeizzerfressene Gesicht des Münchner Torhüters, der dem fein geschnittenen südkoreanischen Rasen mit seiner riesigen Faust droht, weil er den Golfball gerade aus fünf Meter Entfernung am Loch vorbeigeputtet hat, und man denkt sich still: das glaub ich nicht. Deutschland wird nicht Weltmeister. Jedenfalls nicht Weltmeister der Herzen.

Aber Herzen spielen bei dieser WM ohnehin keine Rolle. Bislang sind all die Mannschaften, die leiden können, ausgeschieden. Man hat weinende Mexikaner gesehen, tief deprimierte Portugiesen, fassungslose Italiener und randalierende Russen. Wenn die Türkei das Endspiel gewinnt, dann gibt es einen Weltmeister der Autohupen, die Brasilianer werden weiter ihren penetranten Samba runtertrommeln und mit Brüstchen wippeln. Bei einem Triumph der Engländer ist wochenlang mit ohrenbetäubendem Oasis-Stadionrock zu rechnen. Und wenn es Deutschland am Ende macht, wird Schröder Kanzler. Oder Stoiber.

Dabei ist nach all den Jahren „ran“-Fußball eine Weltmeisterschaft die Fortsetzung von Bundesligafieber unter globalisierten Bedingungen. Emotion trifft auf das totale WM-Kribbeln im Bauch, Angstgegner lassen sich von gut aufgelegten Außenseitern entzaubern, irgendwer ist immer wir, der Rest, das sind die anderen. Warum sollte eine Begegnung wie die zwischen Dänemark und Frankreich aber im Schnelldurchlauf interessanter sein als die Partie Wolfsburg gegen Leverkusen, bei der man auch schon zigmal auf „Top of the Pops“ weitergezappt hat?

Fußball ist in der Pillenform, die Sat.1 rantäglich als Zusammenfassung zwischen Werbeblöcken ausspuckt, eine Aneinanderreihung von öden Sturm-und-Drang-Sequenzen geworden, die von den Kommentatoren zum Star-Wars-kompatiblen Ereignis hochgejubelt werden. Am liebsten würde der Fernsehsender – stolz wie Bolle, aber pleite dank Kirch – ohnehin bloß über die eigene Einschaltquote berichten und danach auf Comedy mit Anke Engelke oder Kai Pflaume weiterschalten.

Unter diesen niederen Umständen leidet zwar nicht das Spiel – die Männer auf dem Platz kriegen in der Regel erst viel später mit, was über sie an Quatsch gesendet wurde –, aber darunter leide ich. Denn ich will Fußball als steten Spielfluss, gerne auch als monotones Hin und Her, bei dem manchmal Minuten und Stunden nichts passiert. Das macht die Spannung aus, da fängt man an zu leiden, ob nicht doch etwas geschehen könnte, was die Ruhe auf dem Rasen plötzlich in Chaos und in Verzweiflung stürzt. Da fühlt man mit, denkt sich in Spielerköpfe hinein und horcht auf die Herzen, die 90 Minuten lang aufgeregt schlagen. Bis mit dem Schlusspfiff alles binnen Sekunden vorbei ist. So viel Sinn für Timing hat kein anderes Drama. Die häppchenweise zugerichtete Stümmel-WM von Seoul bis Yokohama, sie hat für mich nie angefangen – egal, ob Spanien scheitert oder Senegal siegt. Irgendein Endspiel ist immer in der Welt, so will es das Gesetz des Fernsehens.

HARALD FRICKE