Heftige Börsen-Turbulenzen gegen Lula

Das brasilianische Länderrisiko steigt, der Real fällt. Die Nervosität der Finanzmärkte schürt die Angst vor einem linken Präsidenten

PORTO ALEGRE taz ■ Gewinnt Luiz Inácio „Lula“ da Silva im Oktober die brasilianische Präsidentenwahl, dann kommt es zum Chaos. Denn die Finanzmärkte gehen davon aus, dass ein Präsident der Arbeiterpartei PT das Land für zahlungsunfähig erklären muss. Daher wird so lange gegen die Landeswährung Real spekuliert, wie Lula Chancen auf den Sieg eingeräumt werden. Der müsste als Präsident ein Schuldenmoratorium verkünden – eine „self-fulfilling prophecy“. Aus diesem Grund wird sich José Serra durchsetzen, der Kandidat des Mitte-rechts-Regierungslagers. „Im modernen Globalkapitalismus wählen nicht die Brasilianer, sondern nur die Amerikaner.“

Diese Analyse stammt von Megaspekulant George Soros. Bei einem Sieg Serras würden sich die Märkte beruhigen, denn unter der jetzigen Regierung sei Brasilien der „Musterschüler“ des herrschenden Finanzsystems. Mit seiner Einschätzung goss der Milliardär Öl ins Feuer der Finanzmarkt-Turbulenzen, die nun schon vier Wochen anhalten. Das Länderrisiko kletterte am Dienstag auf 1.313 Punkte –was bedeutet, dass die Zinsrate für brasilianische Staatspapiere 13 Prozent über jener für US-Treasury-Bonds liegt und Brasilien als drittriskantestes Land für Anleger gilt – nach Argentinien und Nigeria, vor Ecuador und Venezuela. Das Länderrisiko ist zugleich Gradmesser für die Wahrscheinlichkeit eines Schuldenmoratoriums. Parallel dazu erreichte der Dollar mit 2,72 Real den dritthöchsten Wert seit der Einführung des Real 1994.

Trotz eines orthodoxen Sparkurses und zahlreicher Privatisierungen von Staatsbetrieben ist die brasilianische Schuldenlast während der Amtszeit des sozialdemokratischen Präsident Fernando Henrique Cardoso explodiert und beträgt nun mit 287 Millionen Dollar 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 48 Prozent der Exporterlöse eines Jahres. Höher noch als die Auslandsschulden, die vor allem auf das Konto privater Unternehmen gehen, ist die interne Staatsverschuldung, die mit rund 238 Milliarden Dollar über fünfmal so hoch liegt wie die öffentlichen Auslandsschulden.

Die Zentralbank unter dem ehemaligen Soros-Schützling Armínio Fraga bemüht sich mit bescheidenem Erfolg um eine Besänftigung der Märkte, vor allem indem sie Dollars aus IWF-Darlehen verkauft. Am Dienstag gab der IWF hierfür eine 4,8-Milliarden-Tranche frei. Nur vorübergehend wirkten auch die letzten Umfrageergebnisse, nach denen Serra auf Kosten von Lula zulegte. Lulas Werte sanken von 43 auf 40 Prozent, während sich Serra von 17 auf 21 Prozent verbesserte. Vor einer Stichwahl darf der Cardoso-Kronprinz mit weiteren Zuwächsen rechnen.

An den Turbulenzen ist die Regierung nicht ganz unschuldig. Cardoso und Zentralbankchef Armínio Fraga konnten sich diskrete, doch von den Anlegern genau registrierte Seitenhiebe auf Lula nicht verkneifen. „Die Befürchtungen, die in der Luft schweben, hängen mit der aktuellen Erfahrung in Argentinien zusammen“, so Fraga Mitte Mai. Es herrsche Angst, dass Brasilien „kleine Schritte in die falsche Richtung unternehmen könnte“. Zehn Tage später wollte auch der Präsident eine Krise wie im Nachbarland nicht ausschließen, aber „natürlich nur, wenn die nächste Regierung inkompetent ist, so wie in Argentinien“.

Die Führung der Sozialdemokraten hat die Losung ausgegeben, weiter auf die Assoziation Lula/Chaos zu setzen. Für PT-Parteichef José Dirceu hingegen belegen die Äußerungen von George Soros die Parteilinie, nach der Brasilien „den Kurs ändern und wieder ein nationales Entwicklungsprojekt aufgreifen“ müsse, um letztlich seine Abhängigkeit vom Auslandskapital abzubauen. Auf die „Erpressung“ durch die Finanzmärkte einzugehen, hieße, die nationale Souveränität aufzugeben. GERHARD DILGER