Das Gehirn lernt emotional

Bremer Gehirnforscher wollen mit ihren Erkenntnissen die Bildungspolitiker beraten. „Warum ist Lernen so schwierig?“, fragte gestern Neurobiologe Gerhard Roth bei einer Lehrerfortbildung

Etwa 300 LehrerInnen waren gestern nicht in Urlaub gefahren, sondern zur Fortbildung an die Bremer Uni gegangen. Der Gehirnforscher Prof. Gerhard Roth hat ihnen erklärt, unter welchen Bedingungen das Gehirn lernt – und unter welchen nicht.

taz: Ihr Thema vor den Lehrern ist: „Warum sind Lehren und Lernen so schwierig?“ Fangen jetzt die Gehirnforscher an, die schlechten Pisa-Ergebnisse zu rechtfertigen?

Prof. Gerhard Roth: Nein. Aber die Neurobiologen und die Kognitions- und Emotionsbiologen haben weitgehend herausgefunden, welches die Bedingungen sind, unter denen Lernen stattfindet. Diese Bedingungen sind weitgehend emotional und nicht kognitiv. Sie sind weitgehend unbewusst, also schwer zu kontrollieren.

Kinder lernen nicht für die Sache, sondern für die Lehrerin – das kann man jetzt gehirnphysiologisch erklären.

Das stimmt, wenn für die Lehrerin zu lernen eine Belohnung verspricht. Das Gehirn tut überhaupt nichts, wenn es sich nicht eine Belohnung verspricht. Die Belohnung ist immer der Ausstoß von bestimmten Stoffen, bei denen wir uns wohl fühlen.

Können die Biologen erklären, warum das so ist?

Natürlich. Das Gehirn verbraucht außerordentlich viel Stoffwechsel-Energie. Zehnmal mehr als ihm vom Volumen her zukämen. Und unsere Großhirnrinde, die mit Lernen befasst ist, braucht noch einmal mehr. Da wird eine große Investition gemacht, wenn das Gehirn herausfindet: Dieser Einsatz lohnt sich. Dann belohnt das Gehirn sich damit. Das Gehirn verarbeitet dabei im Wesentlichen unbewusste Signale, die vom Kontext ausgehen: Unruhe im Klassenzimmer, der Zustand der Schule, die Lernsituation. Frust bei der Lehrperson hat fatale Auswirkungen. Und es gibt spezielle Signale, die vom Stoff ausgehen.

Lernen nach Lustprinzip?

Stressfreies Lernen gibt es nicht. Ein milder Stress ist außerordentlich wichtig fürs Lernen, weil bestimmte chemische Stoffe sonst nicht ausgeschüttet werden. Herausforderung ist gut, Furcht ist schlecht.

Das bedeutet: Noten ja, aber nur eins bis vier?

Noten ja, aber die Notengebung muss von den Schülern als gerecht empfunden werden. Das Wichtigste ist: Das Gehirn muss irgendwann gelernt haben, dass Lernen positiv ist. Wenn man jahrelang eingehämmert bekommt: Lernen ist furchtbar, Schule noch schlimmer, dann wird ganz unbewusst der Lernerfolg niedergedrückt. Das entwickelt sich sehr früh.

Man sagt, im Alter von sechs Jahren sei der Zug abgefahren.

Zu 80 Prozent, im Grundcharakter.

Jetzt müsste der Sonderforschungsbereich Gehirnforschung an der Uni ein 10-Punkte Programm Kindergarten- und Schulreform diskutieren.

Das wollen wir auch in etwa machen. Das Zentrum für Kognitionswissenschaften soll ein Zentrum für Kognitions- und Emotionsforschung werden, da wollen wir eine Abteilung Lernforschung gründen. Da sollen Neurobiologen mit Psychologen, Didaktikern, Pädagogen und Schulpraktikern zusammenarbeiten.

Was ärgert Sie am meisten am Bremer Schulsystem?

Die Überzeugung bei Lehrern, man müsse den Kindern den Stoff nur richtig präsentieren, dann würde sich der Erfolg schon einstellen. Das ist ein großer Irrtum. Das ist aber nicht bremenspezifisch.

Wie überprüfen Neurobiologen ihre Theorien vom Lernen?

In Tierversuchen. Man weiß inzwischen gut, welche Stoffe ausgeschüttet werden müssen, damit Lernen erfolgreich ist. Dopamin steuert die allgemeine Lernbegeisterung. Azetylcholin ist ein Stoff, der übrigens auch durch Nikotin aktiviert wird. Azetylcholin steuert die Aufmerksamkeit. Wenn man diese Stoffe blockiert, lernt das Gehirn nicht. Diese Erkenntnisse aus Tierversuchen sind weit gehend auf das menschliche Gehirn übertragbar. Fragen: K.W.