Bauarbeiter stürmen Springer-Bau

Um 50 polnische Arbeiter zu unterstützen, die angeblich am Streik behindert wurden, rückten 50 Kellenschwinger aus Nordrhein-Westfalen in Kreuzberg an. Nur die Polen waren nicht zu finden. 1.400 Berliner im Ausstand

Schon von weiten hört man sie pfeifen. Über 50 Mann mit roten Fahnen rennen auf die Baustelle im Axel-Springer-Komplex an der Kreuzberger Kochstraße zu. Auf ihrer Kleidung steht: „Streik“. „Hier werden Kollegen am Mitstreiken gehindert“, erklärt Ulrich Sürig, Facharbeiter aus Nordrhein-Westfalen. 50 Arbeiter, vermutlich Polen, wollten auch den Springer-Bau bestreiken. Darüber sei man von dem Streikposten informiert worden.

Extra aus Recklinghausen sind die Männer um Sürig angereist. Denn bei dem seit Montag laufenden bundesweiten Streik der IG Bau will man die schlecht organisierten Berliner unterstützen. „Die wollen die Tarifverträge umkrempeln“, ruft ein Kumpel. Viel zu lang müsse man oft beim Malochen stehen. „Papa, wann bist du mal wieder zu Hause?“, ist Sürig schon von seinem Sohn gefragt worden. An ihm vorbei drängen die Mitstreikenden auf die Baustelle.

„Wer einsperrt, wird ausgesperrt“, schallt es aus einem Lautsprecher. Ein Herr in feinem Anzug ist den Westfalen ins Netz gegangen. „Der Bauleiter“, mutmaßt Sürig. Für 6 Euro pro Stunde ließe der die Ausländer für sich schuften. Begleitet von einem „Jetzt geht’s los“-Chor wird der mutmaßliche Bauleiter auf die Straße getrieben. Hinter seinem Rücken leuchtet ein Transparent mit der Aufschrift: „Wer uns wie Dreck behandelt, der wird im Dreck ersticken“.

Von den 6 Euro müssten dessen Arbeiter auch noch die Container bezahlen, Sürig kann sich wieder verständlich machen. Nur 1 Euro bliebe ihnen dann. Den würden sie in ihre polnische Heimat schicken.

Knapp drei Minuten steht der Anzugträger am Pranger. Dann zieht der Streiktrupp weiter. Von den 50 angeblich eingesperrten Arbeitern ist nichts zu sehen. Der mutmaßliche Bauleiter ist zur Baustelle zurückgekehrt. Nur zufällig sei er am Ort gewesen, sagt er. Mit der Baustelle habe er rein gar nichts zu tun. In der Ferne verklingen die Trillerpfeifen.

Der Streik im Baugewerbe ist am Donnerstag nochmals ausgeweitet worden. Nach Angaben der IG Bauen-Agrar-Umwelt (BAU) traten in Berlin knapp 1.400 Bauleute in den Ausstand. Wie am Vortag waren mit dem Beginn der Frühschicht vor allem die zwölf Baustellen des Lenné-Dreiecks, das Dom Aquaree sowie der Palast der Republik von den Arbeitskampfmaßnahmen betroffen. Außerdem wurden Bauhöfe zur Baustellenversorgung bestreikt, sagte der Geschäftsführer der IG BAU Berlin, Rainer Knerler.

Er warf der Arbeitgeberseite vor, weiter Kolonnen ausländischer Arbeiter unter Druck zu setzen, damit sie die Arbeit auf bestreikten Baustellen aufnehmen. Dabei handele es sich in erster Linie um Portugiesen. Die IG BAU hatte Dolmetscher an den Baustellen, die ausländische Arbeiter über die Streiksituation informierten. Daraufhin hätten diese Kolonnen abgelehnt als Streikbrecher zu arbeiten.

Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um 4,5 Prozent. Die Arbeitgeber hatten zuletzt Lohnanhebungen von 3 Prozent angeboten, was laut IG BAU wegen fünf Leermonaten effektiv 1,75 Prozent mehr Gehalt bedeuten würde. Der Versuch zur Schlichtung war am 1. Juni gescheitert. Bei einer Urabstimmung hatten 98,63 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Streik gestimmt. Möglicherweise wird der Streik Montag nochmals ausgeweitet.

SUVA/DDP/DPA