fernöstlicher diwan
: Von Schiedsrichter Collina und Großcousin Benno

Fußball kann so schön sein

Italien unter Schock!!! Killerschiedsrichter!!! Portugal kurz vor dem Massenselbstmord!!! – solche Wörter nehmen mich immer furchtbar mit, alles nehme ich mir so schrecklich zu Herzen! Und dann diese Riesenungerechtigkeit, dass die USA noch drin sind, obwohl sich bei denen zu Hause kein Mensch für Fußball interessiert, und in Argentinien dagegen weinen sich die Leute heute noch die Augen aus dem Kopf, denen hat es etwas bedeutet, sie hatten Hoffnung, sie haben gebetet – was ist das für ein Gott, der so was zulässt?

„Als sie ins Flugzeug stiegen, waren sie noch Kids, irgendwo über Alaska wurden sie zu Männern“, sagte der Mann im Fernsehen über die Mannschaft der USA. Es ist also wieder Krieg. Kids werden zu Männern! Im Flugzeug! Über Alaska! Was ist dort vorgefallen, im Flugzeug über Alaska, als amerikanische Kids plötzlich zu Männern wurden? Hat der Coach seine Narben gezeigt und von früher erzählt, durften die Kids die Stahl-

CORINNA STEGEMANNS WMMein Spieler: Oliver KahnMeine Mannschaft: Arminia BielefeldMein Weltmeister: England

platte in seiner Schädeldecke anfassen? Begriffen sie dann schlagartig, dass es ernst wird, dass sie nicht auf dem Weg in ein Ferienlager waren? Dass es Verletzte geben könnte, verstauchte Knöchel oder gar eine Sehnenzerrung?

Ich halte das alles nicht mehr aus, es ist so schrecklich brutal, gewalttätig, erbarmungslos, barbarisch, bestialisch, grausam und roh! Und bringt am Ende doch nichts als Leid und Tränen. Denn es kann nur einen Weltmeister geben, der unterlegene Rest muss geschlagen, besiegt, bezwungen, übertroffen und erledigt nach Hause zurückkehren. Sogar unserem friedliebenden Innenminister blitzt es leidenschaftlich aus den Augen, wenn er sich vor laufenden Kameras zur WM äußert, und auch ich selbst spüre eine animalische Erregung in mir aufkeimen, wenn dieser geile glatzköpfige Schiedsrichter das Feld betritt.

Dabei kann Fußball doch auch schön und beschaulich sein, rein und unschuldig, so wie ich ihn früher erlebte. Ich habe einen Lieblingsfußballer, und zwar meinen Großcousin Benno Möhlmann. Mein zweiter Lieblingsfußballer ist Ralf Zumdick, der Ex-Torwart vom VfL Bochum, weil er mich mal nett auf die Nase geküsst hat, aber ich möchte von Benno erzählen.

Zugegeben, Benno war nie ein Nationalspieler, folglich auch nie auf einer Weltmeisterschaft vertreten, aber bedeutend ist er trotzdem. Er hatte 255 Bundesligaeinsätze für Werder Bremen und Hamburger SV, jetzt ist er der Trainer von Arminia Bielefeld und mit der Mannschaft stieg er dieses Jahr in die Bundesliga auf. Also immerhin! Als er noch bei Preußen Münster spielte, ging ich regelmäßig mit zum Fußballplatz, ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Ich habe ihn verehrt, bewundert und sehr, sehr gern gehabt, denn er war (und ist es bestimmt immer noch) ein unglaublich lieber und freundlicher Mensch. Später habe ich ihn dann aus den Augen verloren. Kein Kontakt nicht mehr, ich kann ihn nur noch googlen. Und ich denke – ehrlich gesagt – auch nur noch an ihn, wenn mal wieder Weltmeisterschaft ist.

Wenn das Preußen-Münster-Spiel vorbei war, gingen wir zusammen in eine Gaststätte. Ich trank heiße Schokolade und fühlte mich wie eine Prinzessin, weil ER mich so lieb umsorgte und natürlich von den anderen Menschen in der Gaststätte erkannt wurde. Zwei oder drei mal war Werner Schulze-Erdel dabei, ein Bekannter von Benno, der gerade durch die TV-Serie „Zwei himmlische Töchter und die Gimmicks“ so mittel bekannt wurde. Das war natürlich auch toll!

Dann heiratete Benno endlich meine Großcousine Elisabeth (und das ist der Zeitpunkt in dieser Kolumne, an dem ich zugeben muss, dass Benno nur ein angeheirateter Großcousin ist, aber ich mag ihn trotzdem wie mein eigen Fleisch und Blut, und ohne ihn hätte ich niemals angefangen, mich so leidenschaftlich für Fußball zu interessieren!). Es war ein rauschendes Fest, ich tanzte zum ersten Mal einen Walzer – mit Benno!!! Alle Kinder konnten auf dem Fest Süßigkeiten umsonst haben, so viel wie sie wollten, Elisabeth sah wunderschön aus – und jetzt bestimmt auch noch. Und das ist einer der Gründe, warum ich eigentlich ganz froh bin, das Benno den etwas beschaulicheren Fußballerweg gewählt hat: Ich könnte es nicht ertragen, Elisabeth in einer Reihe mit den ganzen anderen abscheulichen Fußballer- Ehefrauen auf Seite 1 der Bild-Zeitung zu sehen!!!

Aber es ist ja alles gut gegangen. Ich werd halt bei Fußballspielen – gerade in diesen Zeiten – nur noch immer ganz wuschig, wenn dieser geile glatzköpfige Schiedsrichter das Feld betritt, und ich habe mir sogar seinen Namen gemerkt: Pierluigi Collina. CORINNA STEGEMANN