Europäer fallen sich in den Rücken

Bürger europäischer Staaten in der internationalen Afghanistan-Mission sind auf Betreiben ihrer Regierungen vor Strafverfolgung geschützt. Die USA sehen sich in ihrem Widerstand gegen den Internationalen Strafgerichtshof bestätigt

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Die Kritik europäischer Regierungen an dem Bemühen der USA, ihre Staatsbürger durch weltweit einzigartige Ausnahmeregeln vor einem eventuellen Zugriff durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu schützen, hat einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Wie gestern bekannt wurde, ließen sich Deutschland, Großbritannien, Frankreich und 17 weitere europäische Staaten Ende letzten Jahres von der afghanischen Übergangsregierung vertraglich uneingeschränkte Immunität für die Soldaten und Zivilpersonen garantieren, die sie seitdem in die „Internationale Sicherheitstruppe für Afghanistan“ (Isaf) entsenden.

Festgeschrieben wurde die Immunitätsgarantie in einem „militärisch-technischen Abkommen“, das die britische Regierung im Dezember 2001 im Namen aller 20 an der Isaf beteiligten europäischen Staaten mit der Übergangsregierung in Kabul aushandelte. Großbritannien führte in den ersten sechs Monaten das Kommando über die Isaf. In dem Abkommen heißt es: „Die Übergangsregierung stimmt zu, dass die Mitglieder der Isaf und ihr Unterstützungspersonal – einschließlich assoziierter Verbindungsoffiziere der US-Streitkräfte – nicht an ein internationales Tribunal, ein anderes Justizorgan oder einen Staat ausgeliefert oder in deren Obhut überstellt werden dürfen.“

Das Abkommen wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt und in keinem der beteiligten Staaten dem Parlament vorgelegt. Sein Bekanntwerden geht zurück auf Informationen US-amerikanischer Regierungsstellen gegenüber Journalisten und erfolgte offensichtlich gezielt: Am Mittwoch brachte die Bush-Administration im UNO-Sicherheitsrat den Entwurf für eine Resolution ein, durch die US-Staatsbürger grundsätzlich von der Möglichkeit einer Festnahme oder juristischen Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof ausgenommen werden sollen. Laut Entwurf solle dieser Immunitätsschutz vor dem IStGH für „alle Teilnehmer“ an Peace-Keeping-Missionen gelten, die vom UNO-Sicherheitsrat gebilligt wurden.

Mit dieser allgemeinen Formulierung spekulierte die Bush-Administration offensichtlich auf Unterstützung anderer Ratsmitglieder. Bis gestern allerdings hatten sich 12 der 15 Ratsmitglieder gegen den US-Entwurf ausgesprochen. Europäische UNO-Diplomaten äußerten den Verdacht, Washington habe das Isaf-Abkommen jetzt an die Öffentlichkeit lanciert, um diese Ablehnungsfront aufzuweichen. Im Übrigen sei die Aushandlung einer einmaligen Immunitätsregelung für den Einsatz einer internationalen Truppe in der konkreten „sehr chaotischen Situation“ in Afganistan etwas „völlig anderes als die Forderung der USA nach einer grundsätzlichen Ausnahmeregelung“.

Zudem wird von europäischen Diplomaten darauf verwiesen, Großbritannien habe das Abkommen zum Schutz des europäischen Isaf-Personals seinerzeit auch auf Drängen der USA ausgehandelt und dafür gesorgt, dass die „assoziierten Verbindungsoffiziere“ der US-Streitkräfte ebenfalls darunter fallen. Um den Druck für die Annahme ihres Resolutionsentwurfes im Sicherheitsrat zu verstärken, drohte die Bush-Administration inzwischen mit der Möglichkeit eines Rückzugs der rund 8.000 US-Bürger, die derzeit in UNO-Missionen dienen.

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