Das Gesetz der Fantasie

Autos mit Gummibandantrieb und Raumschiffe mit Plexiglassonde: „Alle Kinder sind Genies“, sagt Erfinder Fred Pylinski. In seiner Kinder-Erfinderstube will er Kreativität und Talent fördern

von HELENE BUBROWSKI

Fred Pylinski ist nicht enttäuscht. „Bei gutem Wetter gehen die Kinder eben lieber ins Freibad oder zum Eisessen.“ Deshalb ist das Haus in der Harburger Vogteistraße – schon von weitem an den menschengroßen Buntstiften vor der Haustür erkennbar – an diesem heißen Sonnentag auch kinderleer. Nur ein Mann in blauer Latzhose und bunt gesprenkelter Brille sitzt am Tisch und bastelt mit Konservendosen.

Vor 20 Jahren hat Fred Pylinski Deutschlands erste Kinder-Erfinderstube eingerichtet. Hinter dem bunt geschmückten Schaufenster tut sich den Kindern ein Paradies auf: Ein mit Plüschtieren beladener LKW fährt ratternd an der Zimmerdecke entlang, Echsen krabbeln im Terrarium. Das Durcheinander von Stiften, Musikinstrumenten, Werkzeugen, Spielsachen, Kästen und Kisten würde manche Mutter zur Weißglut bringen. Doch strenge Erwachsene haben im „Reich der Kinder“ nichts zu suchen, obwohl Pylinski es gerne sieht, wenn Eltern ihre Kinder in die Erfinderstube begleiten.

Jeden Nachmittag steht den Sieben- bis Dreizehnjährigen „diese Welt der Fantasie“ offen. Sie basteln und malen, erfinden und beraten – ganz ohne Fernseher oder Gameboy. Der 42-Jährige leitet sie an: Nachdenken sei immer der erste Schritt zur Erfindung, dann müsse ein Plan erstellt werden, und erst danach könne aus alten Dosen, Flaschen und Drähten die Erfindung konstruiert werden. Auch über die Gefahren von Bunsenbrenner, Säge und Bohrer werden die kleinen Düsentriebs informiert. Wenn dann aus gelben Scheuermilchflaschen Autos mit Gummiantrieb werden und sich CDs und Strohhalme in Flugzeuge verwandeln, dann, sagt Pylinski, „macht Recycling Spass“.

Der geborene Möllner war früher Schäfer. Heute verdient er sich als Kinderbuch- und Kalenderzeichner ein Zubrot. Kindern sei er schon immer näher gewesen als Erwachsenen: Seine Lieblingssendung ist die „Sendung mit der Maus“, sein Lieblingsgericht Pommes mit Majo.

Vielleicht ist auch deshalb das Vertrauen der Kinder so groß. Denn neben den Erfindungen gehe es auch um „die kleinen und großen Probleme“, von denen Eltern manchmal besser nichts erfahren sollten. „Die Kinder werden hier ernst genommen“, lobt Marcos Mutter begeistert. Schon seit drei Jahren ist ihr Sohn dabei. Seitdem sei er auch zu Hause „viel mehr mit Malen als mit Fernsehen beschäftigt“.

„Alle Kinder sind Genies“, sagt Pylinski. Doch ganz schnell drückten Schule, Werbung und Eltern ihnen einen Stempel auf. „Dabei sind die Kinder doch unsere Zukunft.“ Der Kinderfreund will seine Schützlinge davor bewaren, ihre Kreativität zu verlieren und versteht seine Arbeit auch als Talentförderung.

„Mensch, toll!“ Ein ganz wichtiger Satz für Pylinski. Denn Kinder brauchen vor allem Lob und Anerkennung, sonst ersticken sie an Vorwürfen und Misserfolgen. Deshalb gibt es bei seinem Erfinder-Wettbewerb 2002 auch nur Gewinner: 100 Skizzen liegen bereits vor, noch bis Ende Juli können Entwürfe für eine Maschine eingereicht werden, die schmutziges Wasser in sauberes verwandelt. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten eine gute Idee.