Die Inkongruenz des Geschlechts

Chou-Chou de Briquette, eine Heterosexuelle im Körper eines Schwulen
von WALTRAUD SCHWAB

Von allen Namen, die es für Verzauberte gibt, wählte sie „Daphne Tausendschön“. Daphne, der Lorbeer, die Blume der Sieger. Wie eine Gewinnerin sieht sie dennoch nicht aus. Auch lässt der Name vermuten, dass sie sich mit dem Veni-vidi-vici nicht auskennt. Schon deshalb nicht, weil der Gesellschaft das, was sie will, nicht ins Bild passt: Sie möchte als Frau wahrgenommen und anerkannt werden, obwohl sie den Körper eines Mannes hat. Diese persönliche Inkongruenz trieb Tausendschön in Darmstadt auf die Bühnen der Schwulen- und Tuntenszene. Wenigstens dort war ihr das Frausein erlaubt. Befriedigend war es nicht.

1984 zog Tausendschön nach Berlin. In keiner anderen Stadt wolle sie leben, sagt sie. Ihr Name allerdings schien nicht zur Metropole zu passen. Eine Laune machte aus Tausendschön deshalb Chou-Chou de Briquette. Vom Klang her frankophon, von der Bedeutung her over the top. Mehr Label als Name, aber mittlerweile ihr amtliches Pseudonym. So ist es möglich, dass der Mietvertrag, das Telefon und das Konto auf de Briquette laufen können. Eine Halbidentität, die dort erlaubt ist, wo man den Service bezahlen muss. Auf der BVG-Fahrkarte klebt ein Foto im Unisex-Stil, das sie Frau und Mann sein lässt. Denn sie geht unter die Leute, wie es ihr passt. Dem Alltagsmenschen mit dem unrasierten Gesicht, dem schütteren dunklen Haar, der erzählt, wie er als Kind in strengem katholischem Würzburger Ambiente durchsetzte, Handarbeiten anstatt Werken zu lernen, wie er sich nur mit Mädchen rumtrieb, gerne Gummitwist spielte und wie ihm als mildeste Bestrafung „Mädchenschmecker“ nachgerufen wurde, ist jedoch anzumerken, dass „alles Anstrengung bedeutet“.

Chou-Chou de Briquette war einsam als Kind, „das hat sich fortgesetzt“. Schwul ist sie nicht, da sie für sich eine Frau ist. Eine Tunte ist sie nicht, obwohl der „Datenkaufmann mit Informatikstudium“ sich nur in Frauenkleidern wohl fühlt und sich „die Weiblichkeit erschminken muss“. Im Chanel-Kostüm ist sie eine fragile, zerbrechliche Frau. Als Heterosexuelle aber wird sie nicht anerkannt, da sie als Frau mit Männerkörper ebenfalls einen Mann sucht. Umoperieren lassen will sie sich nicht. Zu viel abschreckende Erfahrungen. „Hättest du mal“, denkt sie manchmal, dann wärst du wenigsten formell eine Frau. Da Chou-Chou aber jedesmal, wenn sie einen neuen Liebhaber hat, gerne ein Kind von ihm hätte, würde die Geschlechtsumwandlung auch nichts bringen. Um das Dilemma ihrer Transidentität zu vervollständigen: „Ich habe die Zweigeschlechtlichkeit selber im Kopf.“

„Für mich gibt es keine plausible Erklärung für männlich und weiblich“, sagt de Briquette. Dass es in Ursprungsgesellschaften das dritte Geschlecht gab, bringe ihr für hier aber nichts. „Meine Identität ist im Grunde illegal.“ Im Grunde bewege sie sich immer zwischen den Dingen. „Ich führe zwei Leben. Nachts im Traum bin ich jedoch nur Frau.“ Gesellschaftlich aber ist Weiblichkeit kein Vorteil. De Briquette plädiert für die Abschaffung des Patriarchats. Zuallererst in der Schwulenszene. Eine Provokation. „Ich will nicht so werden wie du“ waren die Abschiedsworte ihres letzten Lovers. Zurück bleibt die Person allein. „In meinem Chaos blicke nur ich durch“, sagt sie.

Inge Lüttgen ist Andy Daim. Ein Schwuler im Körper einer Lesbe
von WALTRAUD SCHWAB

Inge Lüttgen hat viele Häutungen durchgemacht. Vom Mädchen zum Jungen, von der Häuserkämpferin zur radikalen Lesbe, von der Frau zum Mann, vom Mann zum Schwulen und alles auch umgekehrt, denn festgelegt ist sie nicht. Ihr geht es weniger um Sein als vielmehr um Werden.

Sechs Jahre lang hat die heute 40-Jährige sich in der Berliner Clubszene verausgabt. Sie hat Partys im „SO 36“ organisiert, ist als Gogo-Tänzerin aufgetreten und hat angefangen, auf der Bühne als Andy zu strippen. Kein Wochenende ohne Adrenalin. Verausgabung war Droge. Der Lebenswandel hat ihre Häutungen begünstigt und ihre äußere Form geprägt. Durch alle Stadien der Verpuppung ist sie gegangen, bis das Er in ihr die richtige Form angenommen hat. Es heißt Andy Daim. Heute ist Inge-Andy beide Geschlechter: Sie hat eine männliche Silhouette und er ein weibliches Geschlecht.

Inge-Andy ist zufrieden. Das derzeitige Stadium ihrer Wandlungen gefällt ihr. „Ich bin ein Mensch, der die Geschlechter aufheben will. Da hab ich zuallererst bei mir angefangen.“ Klein, athletisch mit kurzen Haaren und einer rauen Haut im Gesicht, ist sich Inge-Andy in ihren Veränderungen näher gekommen und nachdenklich geworden. Sie lässt es zu, dass ihr Gegenüber sie als „sie“ oder „er“ bezeichnet. „Was ist schon richtig und falsch? Fehler kann man nicht verbieten, warum dann Angst davor haben, sie zu machen? Damit wird mehr kaputtgemacht als mit den Fehlern selbst“, sagt sie. Auch sie kann sich vertun, hält mal einen Mann für eine Frau oder umgekehrt. „Das steht mir zu, dass ich mich irre, alles andere ist Dogmatismus.“

Diese Einsichten sind so wenig von einem Tag auf den anderen entstanden wie ihre geschlechtlichen Transformationen. Denn Inge, die als Andy auf Leder steht und sich 1999 auf Ibiza zur Wahl des „Mister Leatherman“ aufstellen ließ, um zu sehen, ob sie als Frau auffliegt, was nicht der Fall war, gehörte eine Zeitlang zur radikalen Lesbenszene, die sie heute als ausgrenzend kritisiert. „Vor lauter Angst, etwas Rassistisches oder Sexistisches zu sagen, sprachen da am Ende nur noch wenige. Das hatten wir schon mal.“

Inge-Andy hat all diese Gruppen gebraucht, um ihre Wandlungen durchzumachen, und um zu lernen, in Widersprüchen zu leben. Als Frau, die auf der Bühne ein schwuler Mann ist, stellt sie Rollenzuschreibungen in Frage. Vor allem, wenn sie sich dabei aller Klischees schwuler Ästhetik bedient, ihnen aber eine zärtliche Dimension verleiht, indem sie beispielsweise Machogehabe in Zeitlupe spielt. Das dekonstruiert männliche Klischees und gibt ihr den Kick. „Denn wie kann man Mann sein, wenn man als Frau erzogen wurde?“

Mit ihren Stripshows ist sie durch alle einschlägigen Szeneclubs und Fernsehshows getingelt. Ohne Manager. „Verheizt eben, aber mit Euphorie im Bauch, weil ich gut angekommen bin.“ Hormone hat sie keine gebraucht, um ihrem Körper die maskuline Form zu geben, mit der sie zufrieden ist. Fitness ist das Zauberwort. Ihre Brüste sind ihr zum Gefallen ohnehin klein. Nicht weil es Kult ist, mache sie das alles, sondern weil es aus ihr entstanden ist. „Wie so ein Leben weitergeht, das weiß ich allerdings auch nicht.“