Mächtige Schluchten

Wie eine Spinne im Wanderwegenetz: Der Vršičpass als Ausgangspunkt für abwechslungsreiches Bergwandern in den Julischen Alpen Sloweniens

von HARTMUT GRÄFENHAHN

Der Aufenthalt im slowenischen Alpennationalpark Triglav beginnt ganz schön hitzig. Bei einer Wanderung im tief eingeschnittenen Trentatal entlang der Soča, einem der schönsten Alpenflüsse, brennt die sengende Sommersonne. Mediterrane Temperaturverhältnisse, die Adria ist nah. Für den Wanderer im Tal wie in den slowenischen Bergen gilt, ausreichend viel Wasser mit auf die Wandertour zu nehmen. Vom Berg kommt praktisch kein Nass herunter.

Ehrfurchtsvoll, aber auch hungrig auf eine Bergtour machend geht der Blick zu den Felsgiganten des Triglavmassivs, einer Bergregion, die bei deutschen Bergsteigern weniger bekannt ist. Zu Unrecht. Zwar gibt es hier keine spektakulären Gletscher, keine magischen 4.000er, ja noch nicht mal 3.000er, dafür aber extreme Höhenunterschiede auf engstem Raum, die im Alpenraum ihresgleichen suchen.

So herrscht zwischen dem wilden Trentatal und dem slowenischen Nationalberg Triglav ein Höhenunterschied von über 2.000 Metern, obwohl beide nur wenige Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen. In ihrem Aussehen erinnern die Berge um den Triglav an die Dolomiten. Ähnlich gut ausgestattet ist die Region mit Wanderwegen, die für jeden Geschmack und jede Fähigkeit etwas bieten – vom einfachen Panoramawanderweg bis zu steil nach oben strebenden Serpentinen.

Startpunkt in der Höhe

Einige wenige Konditionsfetischisten werden wegen der extremen Höhendifferenzen ihre Bergwanderungen vom Tal beginnen, die Mehrheit sollte eher höher gelegene Ausgangspunkte wie zum Beispiel das Ende eines Seitentals oder einen Pass wählen. Ideal ist in dieser Hinsicht der 1.611 Meter hoch gelegene Vršičpass zwischen Kranjska Gora und Trenta. Auf der Wanderkarte kann man leicht erkennen, dass sich dieser Pass zentral wie eine Spinne im Netz der julischen Wanderwege befindet.

Entsprechend beliebt und frequentiert ist dieser Startpunkt. Für den Parkplatz sind umgerechnet etwa 3,50 Euro zu berappen, die für die Pflege und Instandsetzung des Nationalparks verwendet werden. Die Passstraße sowie die zahlreichen Wanderrouten sind jedoch ursprünglich weniger auf den fleißigen slowenischen Alpenverein zurückzuführen, sondern ein Produkt des Gebirgskriegs 1915/18. Wie in der italienischen Adamellogruppe, den Dolomiten und den Karnischen Alpen tobte auch in den Julischen Alpen ein furchtbarer Krieg, bei dem mehr Tote durch die unerbittlichen Naturgewalten als durch Feindeinwirkung zu beklagen waren.

Die meisten Bergenthusiasten streben vom Vršičpass in das Hauptmassiv rund um den slowenischen Nationalberg Triglav. Daher kann es vor allem an engen Passagen manchmal recht voll werden. Wer eher die Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, wendet sich eher den Bergen neben dem Hauptmassiv zu.

Empfehlenswert ist vor allem der Panoramawanderweg in Richtung des Jalovec-Massivs im Nordwesten des Nationalparks nahe der Grenze zu Italien. Auf einer Tagestour wurde trotz Wochenendes und vollem Vrsic-Parkplatzes nur eine Handvoll Gleichgesinnte angetroffen, Zeitgenossen wie jene sechsköpfige Wandergruppe gesetzteren Alters, die leise, aber munter singend den ebenen Panoramawanderweg entlang spaziert. Schon von weitem war die Gruppe in der Stille der julischen Bergwelt zu hören. Eine angenehme „Lärmbelästigung“. Das kann von den zahlreichen Motorradfahrern, die mit hohen Drehzahlen die Pässe hochjagen, nicht gesagt werden. Aber diese Laute hört man nur nahe des Vršičpass und zum Glück nicht mehr nach der nächsten hervorstehenden Bergflanke.

Wie überall in den Alpen fasziniert es, durch die verschiedenen Vegetationszonen bergan zu steigen. Im Tal und am unteren Hang bis 1.800 Höhenmeter läuft man zunächst durch einen fast dschungelartigen Bergwald. Hier wachsen die Lärchen merkwürdigerweise schräg aus der Erde, bevor sie senkrecht dem Himmel zustreben. Sichelwuchs nennt man dieses Phänomen, das durch die hohe Schneelast im Winter bedingt ist.

Weiter oben führt der Pfad durch Latschenkieferhaine, um dann nur noch weniger werdende Grasflächen zu durchschreiten. Was zuletzt noch in der Höhe gedeiht, ist besonders bewundernswert: Blumen in allen Farben. Diese zarten Gebilde trotzen dem oft rauhen Bergwetter – extremer Sonneneinstrahlung, heftigen Winden, starken Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht sowie zwischen den Jahreszeiten. Ein Königreich für einen Pflanzenführer.

Wer die Blüte der Alpenrosen genießen möchte, sollte die Bergwanderungen im Juni oder Juli unternehmen. Und noch etwas Fragiles kann in dieser rauen Umgebung überleben, ja sogar sehr gut leben, und das oft in größeren Schwärmen: Kleine, braun-orangefarbene Schmetterlinge werden entlang der Wanderwege aufgescheucht und flattern in großer Zahl um einen herum.

Fantastische Ausblicke

Die großen Höhenunterschiede zwischen Tal und Berg in den Julischen Alpen bewirken, dass sich aus der Höhe fantastische Aussichten in die Tiefe der Täler ergeben. Ganz weit da unten sehen die Häuser und Wege aus wie eine Miniaturmodelleisenbahn. Umso gewaltiger wirken die Flussbetten, die jetzt im Sommer bis auf die Soča ausgetrocknet sind. Man kann sich aber gut vorstellen, was da im Frühjahr für Massen an Schmelzwasser zu Tal und gen Meer rauschen.

Natürlich fehlt es im Triglav-Nationalpark nicht an prächtigen Ausblicken. Neben den Berggipfeln, die oft nur dem erfahrenen Bergwanderer vorbehalten bleiben, bieten sich vor allem die Standorte der Berghütten und die Scharten zwischen zwei Gipfeln an, kann man doch gleichzeitig in zwei verschiedene Täler blicken. Ein schönes Beispiel ist die Jalovec-Scharte, die innerhalb weniger Stunden vom Vršičpass zu erreichen ist.

Im Bereich dieser Scharte werden dem Bergwanderer aufs Neue die gewaltigen Kräfte der Natur vor Augen geführt. Jenseits der 2.000-Meter-Höhenlinie führt der Pfad oft durch Geröllfelder. Um in dem Labyrinth den optimalen Weg zu finden, gibt es zahlreiche Markierungen an den Felsbrocken. Die Felsen sind es auch, die den Bergtourengeher beeindrucken. Stecknadelkopfgroße Steine bis zu Hunderte von Tonnen schwere Felstrümmer liegen auf dem Geröllfeld. Was muss das einst gekracht haben, als sie sich aus der Felswand lösten und talwärts herabstürzten!