Koflers jüngster Einfall

Wahrheit-Rat wird wahr: Die Bundestagswahl gibt’s nur exklusiv auf Premiere

„Wahl exklusiv“ spricht alle an, Junge und Alte, Männer und Frauen, sogar Tennisfans

Nun ist es raus: Nicht Murdoch, Bertelsmann oder die WAZ-Gruppe, wie Wahrheit-Autor Rayk Wieland vermutete, werden die Exklusivrechte an der Wahlberichterstattung erwerben. (Die Wahrheit berichtete am 19. 6.) Premiere-Chef Georg Kofler hat längst vorgesorgt: Schon seit Tagen besitzt er sämtliche Rechte an der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag.

Damit sind die Mitbewerber aus dem Rennen. Für die Summe von 80 Millionen Euro darf Premiere vom 22. bis einschließlich 23. September exklusiv über die Wahl berichten – live und rund um die Uhr, wie Kofler versicherte.

Für jede im Bundestag vertretene Partei wird ein Kanal bei Premiere eingerichtet. Wer beispielsweise verfolgen möchte, wie Bundeskanzler Schröder sein Wahllokal betritt und seine Stimme abgibt, muss an seinem Decoder das Programm „Wahl 1“ einstellen, wer sich für Stoibers Kompetenzparty interessiert, „Wahl 2“, usw. usf.

Premiere bietet in diesem Zusammenhang ein riesiges Heer von hoch spezialisierten Technikern auf. Dem Vernehmen nach handelt es sich um die jüngst entlassenen Mitarbeiter, denen jetzt Zeitverträge angeboten wurden. Aberhunderte von Kameras werden die Ereignisse am Wahltag aus allen erdenklichen Städten und Perspektiven erfassen, das Gesamtwerk ist über „Wahl 8“ in der Konferenzschaltung zu sehen.

Keine Frage: Wer allein für die Rechte an der kommenden Bundesligasaison 360 Millionen Euro ausgeben wollte, um gut 2 Millionen Abonnenten mit Fußball zu versorgen, für den sind 80 Millionen ein Schnäppchen. Bei Premiere ist man überzeugt, die Investition in „Wahl exklusiv“ werde sich lohnen und reichlich neue Abonnenten bringen. Mit großen Fußballereignissen erreicht man stets nur einen Teil der Bevölkerung. „Wahl exklusiv“ aber spricht alle an, Junge und Alte, Männer und Frauen, sogar Tennisfans.

Das Nachsehen haben die öffentlich-rechtlichen Sender, die nun vor einer Katastrophe stehen – nicht zuletzt, weil Premiere diverse Mitarbeiter aus den Instituten abgeworben hat, die sonst für ARD und ZDF Wahlen analysieren. „Infratest dimap“ und die „Forschungsgruppe Wahlen“ suchen derzeit händeringend nach neuem Personal. Von der „Forschungsgruppe Wahlen“ heißt es, derzeit könne kaum jemand mit den sozialstatistischen Aggregatdaten oder den selbsterklärenden Grafiken umgehen. Außerdem soll das Politbarometer verloren gegangen sein.

Bis zur Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses dürfen ARD und ZDF keine Zahlen nennen und auch keine aktuellen, bewegten Bilder von Politikern zeigen. Unter den Journalisten der Anstalten herrscht entsprechende Empörung. Bundeswahlleiter Johann Hahlen nennt den Exklusivvertrag indes korrekt, Bundestagspräsident Thierse habe keine Einwände geltend gemacht. Das „hübsche Sümmchen“ sei angesichts der angespannten Haushaltslage zudem hochwillkommen.

Unter den Parteien herrscht ebenfalls Einigkeit – nicht zuletzt, weil sie nach der Wahl mit einem Erfolgshonorar an den Erlösen beteiligt sind. Bundeskanzler Schröder begrüßte den Kofler’schen Plan. „Das ist erstens eine dolle Sache und schafft zweitens Arbeitsplätze“, erklärte er. Die CDU ließ durchblicken, Edmund Stoiber habe als bayerischer Ministerpräsident „nicht unerheblichen Anteil am Zustandekommen dieses Vertrages“ gehabt.

FDP und Grüne regten unabhängig voneinander an, die Parteikanäle auch nach der Wahl beizubehalten. Grünenchefin Roth sagte, „Wahl exklusiv“ diene der „Transparenz in der Politik“ und erfülle „den Bildungsauftrag des Fernsehens auf moderne Art“; Guido Westerwelle sprach von einem „Meilenstein in der Informationsgesellschaft“ und wird noch am Wahlabend in der Premiere-Wahl-Comedy-Show auftreten. Einzig die PDS monierte zunächst, die Informationsfreiheit sei in Gefahr, sah aber auch durchaus positive Seiten: „Hier können Bürgerinnen und Bürger aktiv unter Beweis stellen, dass sie nicht politikverdrossen sind“, sagte Lothar Bisky.

„Wahl exklusiv“ ist ein so genanntes Pilotprojekt und Georg Kofler, der momentan über die Rechte an Landtagswahlen verhandelt, in der Tat ein Mann mit Ideen. Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, will sich Premiere demnächst auch das Recht am exklusiven Wetterbericht sichern. CAROLA RÖNNEBURG